Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
Korion.
»Ich kann das alles nicht«, stöhnte Seth. »Sie schlagen mich. Dauernd. Ich halte das nicht mehr länger aus.«
»Was ist denn passiert?«, fragte Alaron vorsichtig. Er konnte den armen Tropf jetzt nicht noch mehr quälen, ebenso wenig, wie er ein neugeborenes Kätzchen hätte ertränken können.
Die Tränen strömten nur so über Korions Gesicht. »Zuerst lassen sie dich gegen einen antreten, dann gegen zwei, schließlich gegen drei. Gleichzeitig. Sie sind nur gewöhnliche Soldaten, aber es ist so schwer, sie alle im Auge zu behalten. Dann fangen sie an, auf dich einzuschlagen, es wird immer schlimmer. Sie haben mir Sachen zugeflüstert, ganz leise, damit die Kampfrichter es nicht mitbekommen. Was sie mit mir machen würden, wie weh es tun würde, was für ein erbärmlicher Schlappschwanz ich sei … Ich halt das nicht aus. Ich kann da nicht wieder reinge…«
»Du musst wieder da rein«, sagte Alaron leise. »Und wenn sie dich schlagen, dann stehst du wieder auf.« Er bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick. »Wenn Malevorn mich verprügelt hat, hat’s dir immer ganz gut gefallen.« Er packte Korion am Kragen und zog ihn auf die Beine. »Reiß dich zusammen, Seth. Rein mit dir!«
»Ich kann nicht«, wimmerte Korion. »Ich kann’s einfach …«
»Rein jetzt mit dir, du Feigling!«
Bei dem Wort Feigling ging ein Zittern durch Korion, als sei er vom Blitz getroffen worden. Er lief kreidebleich an, und seine Augen wurden feucht. Einen Moment lang glaubte Alaron, Seth würde ohnmächtig zusammenbrechen, doch schließlich wankte er auf steifen Beinen zurück in die Arena.
Kurz darauf hörte Alaron das Klappern hölzerner Schwerter, Stöhnen und Schreie. Zehn Minuten später trugen zwei Männer Korion auf einer Bahre an ihm vorbei. Bewusstlos.
Alaron starrte der Bahre hinterher, dann wanderte sein Blick zum Eingang der Arena.
Heiliger Kore …
Eine weitere Stunde später verließ er den Kampfplatz, humpelnd und erschöpft. Seth hatte nicht übertrieben: Sie hatten ihn gegen kampferprobte Soldaten der Stadtwache antreten lassen, zuerst gegen einen, dann zwei … Ihre Schwerter waren aus Holz gewesen, aber die Verletzungen, die sie einem damit beibringen konnten, waren nicht zu unterschätzen. Alaron hatte die Gnosis benutzen dürfen, aber nur zur Verteidigung, nicht zum Angriff. Parieren, Abwehren, Luftsprünge und dergleichen – harte Arbeit, aber er hatte es überstanden. Nur zwei Treffer hatte er kassiert, und das kurz vor Schluss, als er schon ziemlich am Ende gewesen war. Zweiundneunzig Punkte, gar nicht so schlecht für ihn! Und was die geflüsterten Drohungen und Beschimpfungen der Soldaten betraf: Von Malevorn war er Schlimmeres gewohnt, er hatte sie einfach ausgeblendet.
Allerdings hatte Seth ihm nichts vom letzten Teil der Prüfung erzählt, der darin bestand, einem Schlachtmagus gegenüberzutreten. Alaron war völlig erschöpft gewesen, und aus dem »Kampf« war die kürzeste und schlimmste Abreibung seines Lebens geworden. Erniedrigend. Wenigstens hatten sie auf der Krankenstation gute Heiler.
Tydag war Bogenschießen dran, schwierig und überaus anspruchsvoll, aber nicht so kräftezehrend. Diesmal war keine Gnosis erlaubt. Ein paarmal hatte er getroffen, ein paarmal vorbeigeschossen, wahrscheinlich hatte er bestanden. Wotendag war dem Reiten vorbehalten, und da hatte Alaron keine Probleme: Er war ein guter Reiter und kannte die Pferde. In Reitkunst konnten sie ihn gar nicht durchfallen lassen.
Torsdag wurde der Umgang mit der Ausrüstung geprüft: Auf Zeit eine komplette Rüstung auseinandernehmen und wieder zusammensetzen, einem Pferd einen Harnisch anlegen, all die langweiligen Grundlagen.
Freyadag war der schlimmste, denn da ging es zurück ins Auditorium: Strategie auf dem Schlachtfeld. In der Nacht zuvor träumte Alaron, er würde gefragt, was Vult in Lukhazan hätte tun sollen, und es war der Gouverneur selbst, der ihn benotete. So weit kam es glücklicherweise nicht, aber als er Roblers Taktik in Geisen erklären sollte, war er schlichtweg überfordert. »Er war der Beste«, stammelte Alaron nur, »er konnte die Schlacht gar nicht verlieren.« Immerhin war er schlau genug gewesen, nicht die Thesen seiner Abschlussarbeit ins Spiel zu bringen.
»Alles in allem keine schlechte Woche, glaube ich«, sagte er schließlich zu Vann.
»Besser als die erste«, stimmte Ramon zu und nickte entschlossen.
»Aber nächste Woche geht’s ans Eingemachte: Gnosis. Alles andere ist nur
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