Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
sind widerlich.«
»Siehst du? Dabei kommen beide Familien aus Rimoni! Norer und Rondelmarer sind nicht einmal Landsleute.«
»Die Gorgio sind ein Haufen inzüchtiger Speichellecker. Sie gehören nicht einmal unserer Spezies an! Solinde hat tatsächlich ein Auge auf Fernando Tolidi geworfen. Kannst du dir das vorstellen? Igitt!« Cera rollte mit den Augen, dann wurde sie wieder ernst. »Kommt Magister Gyle aus Rondelmar? Ich habe ihn nur einmal gesehen. Es war unheimlich. Es war, als würde er sich alles und jeden einprägen und in ein kleines Kästchen sperren, damit er ihn nachher wieder hervorholen und in aller Ruhe untersuchen kann.«
Gut bemerkt. Höchstwahrscheinlich hat er genau das getan. »Nein, er ist Norer wie ich.«
»War er dein, ähm …« Ceras Stimme versagte.
»Mein Liebhaber? Das geht dich nichts an, meine Kleine.«
»Du sagst immer, eine Herrscherin muss ihre Nase überall hineinstecken, also ist es mein Recht, es zu erfahren.«
»Und wenn du eines Tages Herrscherin bist, erzähl ich dir’s vielleicht sogar.«
Cera blickte sie durchdringend an. »Früher hast du oft von ihm gesprochen. Jetzt nicht mehr.«
Elena versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Manchmal war Cera wirklich schon zu erwachsen. »Ach ja?«
»Ja. Und Samir hat zu Magister Sordell etwas von einer Vedya gesagt. Wie nah sie Magister Gyle steht.«
Elenas Herz setzte einen Schlag lang aus. »Es gehört sich nicht, sie zu belauschen.«
»Du sagst immer, ich soll Augen und Ohren offen halten, Ella.«
»Das stimmt, aber jetzt will ich, dass du sie zumachst und ein bisschen schläfst.«
Cera legte sich hin und starrte ins Leere. »Ich wünschte, ich könnte sein wie du und gehen, wohin ich will. Tun, was ich will. Stattdessen werde ich heiraten und mein ganzes Leben lang tun müssen, was andere mir sagen.«
»Oh, mein Leben sieht bei Weitem nicht so romantisch aus, wie du glaubst, Cera. Die meiste Zeit tue ich auch nur, was mir gesagt wird. Und das ist dann meistens gefährlich oder todlangweilig oder beides.«
»Wenn ich als Mann zur Welt gekommen wäre, wäre ich jetzt frei. Männer können alles tun, was Spaß macht.«
Elena dachte daran, wie sie vor Jahren einmal genau dasselbe gesagt hatte. Sie warf der Prinzessin einen liebevollen Blick zu. Sie ist wirklich wie eine kleine Schwester. »Weißt du, ich bin sogar deiner Meinung. Trotzdem solltest du jetzt schlafen.«
»Stimmt es, dass Frauen in Rondelmar heiraten können, wen sie wollen?«
Elena schüttelte den Kopf. »Ihr Leben sieht fast genauso aus wie deins: Ein Mädchen hat kaum die erste Blutung, da wird schon die Hochzeit arrangiert. Sogar bei uns Magi. Vielleicht sogar noch früher, weil Magusblut so wichtig ist. Aber selbst das ist bei mir anders.« Sie verzog das Gesicht.
Cera grinste verschmitzt. »Wirst du mal heiraten?«
Elena blinzelte. »Vielleicht.«
»War Magister Gyle dein einziger Liebhaber?«, versuchte sie es weiter.
»Cera!«
Die junge Prinzessin kicherte. »Du kannst es mir ruhig sagen. Wir sind praktisch Schwestern.«
Elena schaute sie entgeistert an. »Geh schlafen!« Sie drehte sich weg, doch Cera lachte nur. Kleines Biest! Ich wette, Solinde hat ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt.
Als Cera wieder etwas sagte, war ihre Stimme sanfter. »Ich hör ja schon auf, Ella. Hast du die Wächter aufgestellt?«
»Si, Cera, es ist alles bereit. Hast du den Tee ausgetrunken, den ich dir gegeben habe? Er hilft gegen die Krämpfe.«
»Alles weg. Buonnotte, Ella-Amika. Ich wünschte, ich wäre wirklich deine Schwester, und wir könnten zusammen um die Welt reisen.«
»Und was machen wir gerade, du Dummerchen? Schlaf gut.«
»Ich liebe dich, Tante Ella.«
»Ich liebe dich auch, kleine Princessa. Und jetzt um Kores willen, schlaf endlich!«
Als sie am Morgen erwachte, lag eine tote Eule neben dem Zelteingang. An der Stelle, wo einmal ihr Herz gewesen war, gähnte ein Brandloch vom Durchmesser einer Münze. Samir beobachtete sie von der Quelle aus, ein hinterhältiges Lächeln auf den Lippen.
Vier Tage später entdeckten sie eine Gruppe Kamelreiter, die sich von Osten her näherte. Sie waren ganz in Weiß gekleidet und trugen lange Lanzen. Als die Männer die königliche Karawane entdeckten, entrollten sie ein violettes Banner: Es war die Eskorte, die ihnen von Forensa aus entgegenkam. Elena sah hinüber zu Lorenzo, der mit ihr an der Spitze ritt, und seufzte erleichtert. Je mehr Soldaten, desto sicherer würde sie sich fühlen. Die letzten Tage
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