Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
Erden zu machen. Er hat Aquädukte gebaut, die Wasser aus den Bergen bringen und das Land fruchtbar machen. Er baute Krankenhäuser, seine Magi kümmern sich um die Kranken. Dem Sultan von Dhassa schenkte er einen Palast aus vergoldetem Marmor, und er hat einen großen Dom-al’Ahm errichtet, den größten im ganzen Norden. Seine Tochter gründete einen Heilerorden, und sein Sohn richtete eine öffentliche Bibliothek ein, größer noch als die des Moguls. Sein Ordo Costruo stand überall hoch in Ehren, manche hielten dessen Mitglieder sogar für Engel Ahms. Aber sie hatten nur die gütige Seite kennengelernt, hatten nie einen Magus in der Schlacht gesehen, doch das sollte sich ändern. Die Legionen aus Rondelmar marschierten bereits über die Brücke, aber vor ihnen kamen die Windschiffe. Über dem Meer hatten sie sich zusammengezogen, hinterm Horizont. Niemand ahnte etwas, bis sie in der Morgendämmerung jenes schrecklichen Tages über die Stadt kamen. Stellt euch diesen Anblick vor, Töchter, all die Windschiffe, die über uns am Himmel standen, voll besetzt mit Bogenschützen und Magi in wehenden Roben, wie Galionsfiguren standen sie am Bug. Zuerst jubelten die Leute, denn sie glaubten, es wäre eine Händlerflotte, die größte, die Urte je gesehen hatte. Wir dachten, wir wären gemachte Leute, auch ich glaubte das. Wir standen auf unseren Wagen und winkten den Schiffen zu. Wie kleine Kinder, die sich auf Süßigkeiten freuen, sprangen wir auf und ab. Doch Raz blickte mich an und sagte: ›Das sind Kriegsschiffe.‹ Ich werde nie den Klang seiner Stimme dabei vergessen. ›Kümmer dich um Falima‹, sagte er, dann sprang er auf und rannte ins Lager seiner Männer: ›Zu den Waffen, ihr Faulpelze!‹, brüllte er. Zuerst verstand ich nicht, aber vielleicht wollte ich auch nicht verstehen. Dann schlugen die Rondelmarer zu. Sie hatten Katapulte auf ihren Schiffen und bombardierten uns mit brennendem Pech, überall regnete es Feuer vom Himmel. Zelte, Häuser und Wagen gingen in Flammen auf, fürchterliche Schreie kamen von drinnen. Dann kamen die Schiffe weiter herunter, die Bogenschützen ließen Pfeile auf uns herabregnen, und die Magi streckten mit ihren blauen Blitzen jeden nieder, der versuchte, die Gegenwehr zu organisieren. Es war grässlich. Wir waren absolut hilflos. Ich erinnere mich, wie ich Falima festhielt, damit sie Raz nicht folgte. Sie wehrte sich wie ein Dämon. Raz rannte zu seinem Zelt, und als er mit Brustpanzer, Faustschild und Krummsäbel wieder herauskam, explodierte das Zelt hinter ihm. Die Druckwelle schleuderte mich und Falima gegen meinen Wagen, und als wir wieder etwas sehen konnten, gähnte ein Krater an der Stelle, wo eben noch das Zelt gestanden hatte. Über uns hing der Schatten eines Kriegsschiffs, ein junger Magus stand am Bug und beschoss die fliehenden Menschen mit Feuer aus seinen Händen. Direkt vor unseren Augen ging eine ganze Handelskarawane auf der Flucht in Flammen auf. Schließlich fiel sein Blick auf uns. Er hob die Hände, und ich zog Falima unter den Wagen. Dann war um uns herum nur noch Hitze und Feuer, die Luft kochte, und der Sand verschmolz zu Glas, genau an der Stelle, wo wir eben noch gestanden hatten. Falima und ich krochen auf der anderen Seite unter dem Wagen hervor, und diesmal war es Falima, die mich zurückhalten musste, damit ich in meinem Wahnsinn nicht versuchte, meine Seidenstoffe zu retten! Wir fanden Raz, wie er vor dem Krater kniete. Er starrte in das Loch, das einmal sein Zelt gewesen war, und auf die schwarz verkohlten Leichen darin. Überall hallten die Schreie der Sterbenden wider. Das Kriegsschiff über uns wandte sich nach Osten, zum nächsten Lager, aber sie waren überall, es gab keine Richtung, in die wir uns wenden konnten. Raz beschloss, sich mit uns bis in die Stadt durchzuschlagen. Unterwegs schlossen sich noch andere an, in ganzen Trauben flohen sie durch die engen Gassen in Richtung der Tore. Aus irgendeinem Grund glaubten wir, innerhalb der Mauern wären wir in Sicherheit. Zwischen den großen Windschiffen flogen Dutzende kleinere umher, die die Rondelmarer Skiffs nennen. Jedes davon war mit einem Magus und mehreren Bogenschützen bemannt. Sie waren schneller als die großen Kriegsschiffe, wie die Schwalben schossen sie über unseren Köpfen hin und her und griffen wahllos an. Manche kamen so nah, dass ich die Gesichter der Männer sehen konnte. Sie waren so jung und aufgeregt wie kleine Kinder, die zum ersten Mal auf Hasenjagd sind.
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