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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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noch übrigen gekippten Mast.
Wir versuchten, diesen Überrest der Takelage
wegzuschießen, aber wir hatten keinen Kettenschuß mehr
übrig, und es lebte kein Oberkanonier mehr. Das Pulver an Deck
war fast alle.
    Das feindliche Schiff drehte sich uns zu, kam näher. Wir
verbrauchten die letzte Munition, dann griffen wir zu Entermessern
und Bordpistolen. Die Verwundeten überließen wir sich
selbst. Da wir keine Rahen mehr hatten, an die wir Leinen hätten
hängen können, machten wir uns bereit, im Augenblick des
Zusammenstoßes an Bord des anderen Fahrzeugs zu springen. Auf
diesem wurde es ebenfalls still. Die letzten dunklen Wolken von
seinen Kanonen trieben langsam vor ihm her, über die
trübrote Dünung des leeren Ozeans. Als die Schiffe sich
näherkamen, vermischten unsere Wolken sich.
    Die beiden zerrissenen, gebauchten Rümpfe berührten
sich. Wir sprangen hinüber, verließen unser dem Untergang
geweihtes Schiff.
    Die Kollision fällte den letzten beschädigten Mast
unseres Feindes, und die beiden Fahrzeuge trennten sich wieder
voneinander. Wie wir hatten auch sie weder Haken noch Greifer
benutzt. Rufend und fluchend taumelten wir durch die Decks der
feindlichen Galeone, während unser altes Schiff davontrieb, aber
wir fanden keine Männer, mit denen wir hätten kämpfen
können, nur die Toten und die stöhnenden Verwundeten. Wir
fanden kein Pulver und keine Kugeln, nur steigendes Wasser und sich
ausbreitendes Feuer. Wir fanden keine Rettungsboote, nur Trümmer
und verkohltes Holz.
    Resigniert, erschöpft versammelten wir uns auf dem
schrägen, zersplitterten Achterdeck. In dem rauchigen,
flackernden Licht des Feuers blickten wir auf die sich langsam
erweiternde Lücke aus trümmerbesätem Ozean zwischen
uns und unserem alten Schiff hinaus.
    Seine Masten waren Flammen, seine Segel Rauch. Sein Spiegelbild
brannte auf dem Wasser zwischen uns, ein bleicher und
seitenverkehrter Geist.
    Unsere Feinde starrten durch den Rauch auf uns zurück.

 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Mein Apartment liegt hoch auf diesem Brückenabschnitt, nahe
dem Bogen und nicht weit von der einen Ecke des
zusammengedrückten Sechsecks, dem der Abschnitt ähnelt.
Anscheinend verdiene ich diese gehobene Position, weil ich einer von
Dr. Joyces Star-Patienten bin. Meine Zimmer sind groß und hoch,
und auf der meerwärts gelegenen Seite stellen die eingeglasten
Träger der Brücke ihre Wände dar. Ich kann – aus
einer Höhe von zwölfhundert Fuß oder mehr – in
die Richtung hinaussehen, die wir flußabwärts nennen. Das
heißt, wenn die Sicht nicht von den grauen Wolken versperrt
wird, die sich oft auf die Brücke herabsenken.
    Meine Zimmer waren ganz kahl, als ich aus der Klinik herkam. Ich
habe sie verschönert, indem ich mehrere nützliche und
dekorative Möbelstücke und eine bescheidene, aber
sorgfältig ausgewählte Sammlung kleiner Gemälde,
Figurinen und Skulpturen hinzugefügt habe. Die Gemälde
zeigen größtenteils Einzelheiten der Brücke oder sind
Seestücke. Ich habe mehrere gute Bilder von Yachten und
Fischerbooten. Die Skulpturen stellen hauptsächlich menschliche
Gestalten dar, in Bronze erstarrte Brückenarbeiter.
    Es ist jetzt Morgen, und ich kleide mich an, mache Toilette. Ich
tue es langsam, in abgemessenen Schritten. Ich besitze eine teure
Garderobe; es scheint mir nur höflich zu sein, wenn mir so viele
gute Sachen gegeben worden sind, ihrer Wirkung einiges Nachdenken zu
widmen. Sie sind schließlich eine Sprache; sie sagen nicht so
sehr Dinge über uns aus, sie sind, was gesagt wird.
    Auf der Brücke müssen die Arbeiter natürlich
Uniform tragen und brauchen sich keine Gedanken zu machen, was sie
jeden Morgen anziehen sollen. Mein Neid auf ihre Art zu leben beginnt
und endet jedoch hier; sie akzeptieren ihr Los und ihre Stellung
innerhalb der Gesellschaft mit einer Unterwürfigkeit, die ich
ebenso erstaunlich wie enttäuschend finde. Ich würde
mich nicht damit abfinden, mein ganzes Leben lang Kanalarbeiter oder
Bergmann zu sein, aber diese Leute fügen sich in die Struktur
ein wie glückliche kleine Nieten, schmiegen sich ihrer Position
mit der Adhäsion und Kohäsion eines Farbanstrichs an.
    Ich kämme mein Haar (von einem angenehm intensiven Schwarz
und gerade lockig genug, daß es Fülle hat) und wähle
eine Krawatte und eine dazu passende emaillierte Taschenuhr. Für
einen Augenblick bewundere ich mein hohes, aristokratisches
Spiegelbild, überzeuge mich, daß meine Manschetten glatt
sind, meine Weste

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