Die Brücken Der Freiheit: Roman
rannte zur Treppe und kletterte wieder hinunter in den Schacht.
Der Ehemann lief ihr nach, blieb am Schachteingang stehen, blickte sich um. Er war außer sich vor Aufregung und Sorge.
»Was ist passiert?« fragte Lizzie.
»Wir können unseren Jungen nicht finden.« Seine Stimme zitterte. »Jen glaubt, daß er noch unten im Stollen ist.«
»O Gott!« Lizzie spähte über den Rand. Tief unten war etwas zu sehen, das an eine brennende Fackel erinnerte. Doch noch während sie da stand und hinuntersah, bewegte sich das Licht und verschwand im Stollen.
Es war nicht das erste Mal, daß Mack sich dieser Prozedur unterzog, doch diesmal hatte er mehr Angst als je zuvor. Noch nie hatten sie eine so hohe Grubengaskonzentration feststellen können wie diesmal, und während das Gas bei früheren Anlässen mehr oder weniger langsam eingesickert war, hatte es sich diesmal ungemein schnell gebildet. Sein Vater hatte dagegen mehrfach mit größeren Gasaustritten zu tun gehabt und sein Körper war, wie Mack am Samstagabend, wenn Vater sich vor dem Feuer wusch, sehen konnte, mit den Narben alter Brandwunden übersät gewesen.
In seiner mit eisigem Wasser getränkten Decke war es so kalt, daß Mack am ganzen Leibe schlotterte. Stück für Stück zog er die brennende Fackel näher an sich und das Gas heran. Um sich von seiner Furcht zu befreien, dachte er an Annie. Sie waren gemeinsam aufgewachsen und hatten einander immer gemocht. Annie hatte eine wilde Seele und einen kräftigen Körper. Nie zuvor hatte sie ihn vor anderen Leuten geküßt, unter vier Augen dagegen um so öfter. Sie hatten ihre Körper erkundet und miteinander gelernt, wie man sich gegenseitig Freude bereitete. Sie hatten dies und das probiert, alles eigentlich, nur eben das nicht, was Annie als »Kindermachen« bezeichnete, aber viel gefehlt hatte dazu auch nicht mehr.
Es half nichts. Die furchtbare Angst ließ sich nicht vertreiben.
Um sich zu beruhigen, stellte er sich ganz nüchtern die Ausbreitung des Gases im Stollen vor. Die Mulde, in der er lag, befand sich an einer der tiefsten Stellen, weshalb man davon ausgehen konnte, daß die Konzentration hier unten vergleichsweise gering war. Genau wußte man das aber auch erst, wenn sich das Gas entzündete. Er hatte Angst vor Schmerzen und wußte, daß Brandwunden die reinste Folter waren. Vor dem Tod fürchtete er sich eigentlich nicht. Obwohl er nicht viel über Religion nachdachte, war Gott in seiner Vorstellung gnädig und barmherzig. Nur - Malachi McAsh wollte noch nicht sterben; er hatte noch nichts geleistet, noch nichts erlebt, noch nichts von der Welt gesehen, war sein gesamtes bisheriges Leben lang nur Sklave gewesen und sonst nichts. Wenn ich diese Nacht überlebe, gelobte er sich, werde ich noch am gleichen Tag das Tal verlassen. Ich werde Annie zum Abschied noch einmal küssen, Esther alles Gute wünschen und den Jamissons furchtlos entgegentreten, so wahr mir Gott helfe!
Aus der Länge der Schnur, die sich zwischen seinen Fingern angesammelt hatte, konnte er schließen, daß die Fackel mittlerweile ungefähr die Hälfte des Weges zu ihm zurückgelegt hatte. Das Grubengas konnte sich jetzt jeden Moment entzünden aber es war auch möglich, daß sich überhaupt nichts tat. Von seinem Vater wußte er, daß das Gas manchmal einfach verschwand, und niemand vermochte zu sagen, wohin.
Er spürte einen leichten Widerstand und wußte, daß die Fackel jetzt an einer Kurve im Stollen entlangschleifte und von der Stelle, an der sich seine Mulde befand, bereits zu sehen sein mußte.
Gleich knallt's, dachte er.
Und dann hörte er eine Stimme.
Er erschrak so sehr, daß er im ersten Augenblick dachte, es
müsse sich um einen Geist, einen Dämon oder eine andere übernatürliche Erscheinung handeln. Doch dann wurde ihm sehr schnell klar, daß davon keine Rede sein konnte: Er hörte die angsterfüllte Stimme eines kleinen Kindes.
»Hallo! Hallo! Wo seid ihr?«
Mack wußte sofort, was geschehen war. Als kleiner Junge war er während der fünfzehnstündigen Arbeitszeit im Stollen nicht selten, von Müdigkeit überwältigt, eingeschlafen. Dem Kind war das gleiche passiert. Es hatte den Alarm verschlafen, war dann aufgewacht und, als es merkte, daß der Pütt verlassen war, in Panik geraten.
Für seine nächste Entscheidung brauchte Mack nur Sekundenbruchteile.
Er schob das Brett beiseite und sprang aus seiner Mulde. Die brennende Fackel erleuchtete die Szenerie, so daß er den aus einem Seitenstollen
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