Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brücken Der Freiheit: Roman

Die Brücken Der Freiheit: Roman

Titel: Die Brücken Der Freiheit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
Nachmittagsschläfchen. Lizzie horchte auf Schritte; vielleicht war einer von Sir Georges Dienern im Haus. Nichts rührte sich. Leichtfüßig lief sie die Treppe hinunter, schlüpfte zur Hintertür hinaus und gelangte auf den kleinen Weg, der am hinteren Ende des Grundstücks entlangführte.
    Es war ein kalter, sonniger Vorfrühlingstag. Als sie die Straße erreichte, erinnerte sie sich daran, daß sie nun auch wie ein Mann gehen müsse - breit und behäbig, als gehöre ihr das ganze Trottoir und als sei sie jederzeit bereit, alle, die ihr diesen Anspruch streitig machen wollten, das Fürchten zu lehren. Bis nach Shadwell, das ganz im Osten lag, auf der anderen Seite der Stadt, konnte sie natürlich nicht so stolzieren, und so hielt sie eine Sänfte an - wohlgemerkt nach Männerart mit gebieterisch erhobenem Arm anstatt mit dem bittenden Winken einer Frau. Als die Träger die Sänfte absetzten, räusperte sie sich vernehmlich, spuckte in den Rinnstein und sagte mit tiefer, krächzender Stimme: »Zum Pelikan, und zwar ein bißchen dalli!«
    So weit im Osten Londons war Lizzie noch nie gewesen. Die Häuser wurden immer kleiner und ärmlicher, die Luft in den kleinen Gassen stickiger. Sie kamen an verschlammten Stranden vorbei, an wackeligen Kais, verfallenen Bootshäusern, von hohen Zäunen umgebenen Holzlagerplätzen und baufälligen Speicherschuppen, deren Türen mit Ketten gesichert waren. Vor einem großen Gasthaus unmittelbar am Themseufer, auf dessen hölzernem Zunftschild ein grob gemalter Pelikan prangte, hielten die Sänftenträger an und ließen Lizzie aussteigen. Im Hof der Taverne wimmelte es von lärmenden, aufgeregten Menschen: Arbeitern mit Halstuch und Stiefeln, besseren Herren in Westen, Arbeiterinnen mit Schals um den Hals und Holzschuhen an den Füßen. Einige Frauen - Lizzie hielt sie für Prostituierte - liefen mit entblößten Brüsten und grell geschminkten Gesichtern herum. Frauen, denen Lizzies Mutter »Qualität« zugebilligt hätte, waren nicht darunter.
    Sie zahlte den Eintrittspreis und drängelte sich mit den Ellbogen durch die grölende Menge. Ein stechender Geruch nach verschwitzten, ungewaschenen Menschen hing in der Luft und erhöhte Lizzies Spannung. Sie kam sich richtig lasterhaft vor. Der Kampf der Gladiatorinnen war in Gang. Drei Frauen waren bereits aus dem Tumult ausgeschieden: Eine saß auf einer Bank und hielt sich den Kopf; eine zweite versuchte, das Blut zu stillen, das ihr aus einer Beinwunde quoll; eine dritte lag ohnmächtig auf dem Rücken, obwohl sich mehrere Menschen darum bemühten, sie wieder zu Bewußtsein zu bringen. Die restlichen vier waren noch im Ring und schlugen mit groben Holzknüppeln aufeinander ein. Sie waren alle barfuß und bis zur Taille nackt und trugen zerschlissene Röcke. Ihre Körper und Gesichter waren mit Wunden und Narben bedeckt. Die gut hundert Zuschauer feuerten ihre jeweiligen Favoritinnen an; einige Männer wetteten auf den Ausgang des Kampfes. Die Frauen kannten keinerlei Zurückhaltung. Sie schwangen ihre Knüppel mit knochenbrechender Brutalität, und die Männer quittierten jeden Volltreffer mit zustimmendem Gebrüll. Ebenso angewidert wie fasziniert beobachtete Lizzie das Geschehen. Es dauerte nicht lange, bis eine der Frauen einen wuchtigen Schlag auf den Kopf erhielt und bewußtlos zusammensackte. Beim Anblick des halbnackten, im Dreck liegenden Körpers wurde Lizzie übel.
    Sie wandte sich ab und betrat die Taverne. An der Bar schlug sie mit der Faust auf den Schanktisch und rief: »Einen Krug starkes Ale, Jack!« Lizzie genoß den herrischen Ton. In Frauenkleidung würde mich jeder Mann zurechtweisen, wenn ich so mit ihm reden würde, selbst Schankwirte und Sänftenträger, dachte sie. Kaum trage ich Hosen, lassen sie sich bereitwillig herumkommandieren…
    In der Gaststube roch es nach Tabakasche und verschüttetem Bier. Lizzie setzte sich in eine Ecke, nippte an ihrem Ale und fragte sich, warum sie eigentlich hierhergekommen war. Hier herrschten Gewalt und Grausamkeit, und sie wußte, daß sie sich auf ein gefährliches Spiel eingelassen hatte. Was würden diese ruppigen Kerle mit ihr anstellen, wenn sie dahinterkämen, daß sich eine Dame aus der Oberschicht in Männerkleidung unter ihnen befand?
    Sie war vor allem gekommen, weil die Neugier eine Leidenschaft war, der sie einfach nicht widerstehen konnte. Schon als Kind hatte sie alles Verbotene gereizt. Auf den Satz »Da hat eine Lady nichts zu suchen!« reagierte sie wie der

Weitere Kostenlose Bücher