Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
zurecht, dachte Ingeborg, denn seine hellblauen Augen blickten freundlich, und das nicht nur, weil das blaue Meer sich in ihnen spiegelte.
»Du musst mich kein drittes Mal fragen, Lauritz. In Zukunft gedenke ich, dich mit Lauritz anzusprechen.«
Ingeborgs Vater legte eine weitere Pause ein. Ingeborg jubelte innerlich, da sie wusste, was diese kleine Formalität bedeutete. Aber ihr geliebter, zukünftiger Mann schien es nicht zu verstehen. Er sah völlig überrumpelt aus, weil er sich als Dank für seinen Vortrag nun nicht einmal mehr als Herr Diplomingenieur anreden lassen durfte.
»Ich gebe dir von Stolz und Freude erfüllt Ingeborgs Hand«, fuhr der Baron langsam und ernst fort. »Vielleicht habe ich ungebührlich harte Bedingungen gestellt, aber das geschah aus reiner Fürsorge um meine älteste Tochter. Du hast diese Bedingungen erfüllt. Du hast gesiegt. Im Übrigen habt ihr beide gesiegt. Mit Ingeborg war es nicht immer leicht. Jetzt stelle ich allerdings noch eine Bedingung, und in diesem Punkt lasse ich nicht mit mir reden!«
Er sah plötzlich streng und unerbittlich aus. »Was für eine Bedingung?«, riefen Lauritz und Ingeborg wie aus einem Munde. Es war das erste Mal bei diesem Ausflug, dass Ingeborg etwas gesagt hatte.
»Dass die Verlobung beim Abschlussbankett des Kaisers bekannt gegeben wird. Lauritz wird unter allen Umständen
an der Ehrentafel sitzen. Und du auch, meine liebe Ingeborg, du wirst deinen Verlobten also ein weiteres Mal als Tischherrn haben.«
Ingeborg umarmte ihn und küsste ihn auf beide Wangen.
Die Ran fiel ab, und die Bergener bargen rasch die Fock und setzten den Spinnaker.
»Sag mir, könnte man diese Jacht jetzt nicht billig kaufen?« , scherzte der Baron.
Vermutlich scherzt er, dachte Lauritz.
»Tja«, erwiderte er und zog nachdenklich an seiner einen Schnurrbartspitze. »Über den Preis müsste man dann wirklich eingehender sprechen. Aber dann müssten Sie ja den Spinnaker austauschen, Herr Baron. Ich kenne da einen guten Segelmacher.«
Lauritz deutete an den Himmel, vor dem sich eine riesige norwegische Flagge entfaltete.
Der Kaiser hielt beim Bankett eine kurze, aber sehr sportliche Rede, ehe er Lauritz den vornehmsten Siegerpokal der Kieler Woche überreichte. Anschließend gratulierte er dem Sieger zu dem noch größeren Gewinn, dass er sich an diesem Tag mit der hochwohlgeborenen und entzückenden Ingeborg Freiherrin von Freital verlobt hatte. Dann brachte er einen Toast auf das junge Paar aus.
Der Siegerpokal, eine vergoldete Silberschale auf vier hohen Beinen, Empire, stand vor den Frischverlobten auf dem Tisch.
»Ist das der glücklichste Tag unseres Lebens?«, fragte Ingeborg und musste jetzt nicht mehr flüstern.
»Ja, zweifellos«, antwortete Lauritz.
»Was macht dich glücklicher, der berühmteste Seglerpokal der Welt oder ich?«, wollte Ingeborg wissen.
Lauritz wusste, dass das ein Scherz war, und dachte eine Weile über eine halbwegs witzige Antwort nach.
»Ohne diesen Pokal hätte ich dich nie bekommen. Ohne dich hätte ich nur den Pokal«, antwortete er, beugte sich zu ihr hinüber und küsste sie ganz offen, wie es Frischverlobten sogar an der Tafel des Kaisers gestattet war. Alles applaudierte.
XVIII
OSCAR
Belgisch-Kongo, 1909
Die Belgier waren der Abschaum der Welt, das feigste, grausamste und gemeinste Volk, das Gott geschaffen hatte. Leopold II. war der furchtbarste und blutrünstigste König, der je auf einem europäischen Thron gesessen hatte. Ein solches Staatsoberhaupt wäre in Deutschland schlicht und ergreifend undenkbar gewesen.
Dies zumindest war Hans Christian Witzenhausens feste und oft lautstark proklamierte Überzeugung. Einen solchen Massenmörder würde es in Europa nie mehr geben, und falls es so etwas wie christliche Gerechtigkeit überhaupt gab, rotierte Leopold jetzt an einem Grillspieß im schlimmsten Kreis der Hölle.
Oscar hatte dagegen keine Einwände. Während ihrer zweiten Safari im Kongo hatten sie einiges zu hören bekommen. Sie waren durch zerstörte Dörfer gekommen, in denen Miombobäume und Büsche die Felder überwucherten. Wind und Regen hatten die Hütten zum Einsturz gebracht, und von menschlichem Leben gab es keine Spur mehr. Einem Drittel der etwa hundert Träger, die sie am Eduardsee, von dem aus es zu Fuß weiterging, angeheuert
hatten, fehlte eine Hand. Bei ihrer Bewerbung hatten sie ihr Möglichstes getan, diese Behinderung zu verbergen, denn anfänglich hatte Kadimba ohne Umschweife alle
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