Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Frühstück zuständig, das einstweilen noch aus Eiern und Speck bestand, und musste daher viel früher aufstehen. Außerdem musste er die Verpflegung der hundertfünfzig Träger organisieren.
Zum Abendessen gab es Gnufilet, gegrillten Flussbarsch und belgischen Rotwein.
Es war ein schöner Abend, sternenklar, kühl und moskitofrei. In solchen Momenten spürte man, dass man wirklich unterwegs war. Das Paddeln über die Seen, die langwierigen Verhandlungen, das Schachern um die Kosten für den Kanutransport und Ähnliches hatten nicht das richtige Gefühl aufkommen lassen. Aber jetzt saßen sie am zweiten Abend in ihrem Lager und waren wirklich unterwegs, entweder zu Reichtum oder in den Tod.
Sie waren nicht allein unterwegs. Elefantenjäger aus ganz Afrika, Engländer, Deutsche, Franzosen und ein paar
wenige Amerikaner, schlimmstenfalls sogar Belgier, befanden sich wahrscheinlich ganz in ihrer Nähe. Viele von ihnen würden den Tod finden, statt mit einem Vermögen zurückzukehren. Diese Sorge hatte Oscar jedoch nicht. Ihn würde kein Elefant töten, denn er war wie alle jungen Männer unsterblich.
»Streng genommen sind wir Diebe«, scherzte er und nippte genussvoll an seinem Cognac. »Wenn auch unklar ist, wen wir eigentlich bestehlen«, fuhr er fort, als er die erstaunten Mienen der anderen sah. »Den Nachlass des unmenschlichen Königs Leopold kann man schwerlich bestehlen, die Enklave wird zumindest nicht seinen Erben zufallen. Das widerwärtige kleine Land Belgien bestehlen wir auch nicht, auch wenn die Enklave früher oder später wohl Belgien zufallen wird. Im Augenblick jedenfalls bestehlen wir niemanden. Recht interessant.«
»Dann sind wir keine Diebe!«, wandte Kadimba auf Swahili ein. Er hatte die deutsche Unterhaltung offenbar verstanden.
»Belgien hat ohnehin seine Rechte im Kongo verwirkt«, meinte Hans Christian. »Das hier ist das Zentrum, das Herz Afrikas, das sie zerschnitten haben. Sie sind Menschenschinder, Barbaren, eine Schande für uns Weiße. Sag das deinem Freund Kadimba, eine Schande für den weißen Mann, für die wir uns alle entschuldigen!«
»Das habe ich verstanden«, antwortete Kadimba auf Swahili. »Der weiße Mann hat es nicht leicht, viele hassen ihn ohne Grund.«
»Was hat er gesagt?«, fragte Hans Christian, der kein Wort Swahili verstand.
Oscar dolmetschte, und alle drei nickten nachdenklich.
»Das erinnert mich an eine Sache, die ich nicht verstehe«, fuhr Oscar fort. »Die Kongolesen hätten zig Gründe gehabt, sich aufzulehnen. Sie sind viel zahlreicher als die widerwärtigen belgischen Sadisten. Trotzdem lassen sie sich wie die Lämmer zur Schlachtbank führen. Wenn jemand eine Panga erheben würde, um mir die Hand abzuhauen, würde ich sie nicht still hinhalten. Ich würde Widerstand leisten und sterben.«
Er übersetzte die letzten Sätze in Swahili. Der mittlerweile an den Schläfen ergraute Kadimba schüttelte den Kopf und sagte, manche Menschen seien verrückt, manche nicht. Die Deutschen seien viel bessere Menschen als die Belgier, das wüssten alle. Deutsche könnten solche Grausamkeiten niemals begehen. Und trotzdem mussten die Deutschen einen Aufstand nach dem anderen niederschlagen.
Oscar übersetzte ins Deutsche. Eine Weile war es still.
»Wie war es mit dem letzten Aufruhr neunzehnhundertfünf ?«, fragte Oscar. »Ich war zu diesem Zeitpunkt auf der Baustelle und kam erst wieder nach Dar, als alles schon vorbei war. Was ist damals eigentlich passiert?«
Hans Christians und Kadimbas Versionen stimmten erstaunlicherweise fast überein, woraus Oscar den Schluss zog, die Wahrheit zu hören.
In dem Dorf Ngrambe im Nordosten gab es einen Medizinmann namens Kinjikitile, der behauptete, den Geist einer Schlange zu besitzen, der Hongo hieß. Er baute zu dessen Anbetung einen kleinen Tempel, in dem einige Hundert Menschen Platz fanden. Diesen Tempel konnte aufsuchen, wer die Stimme des Geistes hören wollte, in Wahrheit die Stimme Kinjikitiles, der sich unter einer Schilfmatte versteckt
hatte. Immer mehr Menschen strömten herbei, und Kinjikitile schlug aus seinem Erfolg bare Münze. Er verkaufte ein Elixier aus Rizinusöl und Hirse und sagte, dass jeder, der davon trank, nicht verwundet würde. Die ersten Käufer gehörten den Stämmen Matumbi, Kichi und Ngindo an und waren alles andere als Krieger. Sie waren Bauern, nichts anderes. Sie hassten die kriegerischen Ngoni im Süden, was wenig verwunderte, denn die Ngoni waren zu allen Zeiten Sklavenjäger
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