Die Brüder Karamasow
überlegte. Diese Nachricht hatte auf ihn offenbar starken Eindruck gemacht.
»Iwan spricht mit mir nicht über Mitjas Angelegenheit«, sagte er langsam! »Und überhaupt hat er mit mir in diesen ganzen zwei Monaten nur sehr wenig gesprochen. Wenn ich zu ihm kam, war er über mein Kommen immer so mißvergnügt, daß ich seit drei Wochen gar nicht mehr zu ihm gehe. Hm ... Wenn er vor einer Woche da war, dann ... In dieser Woche ist mit Mitja tatsächlich eine Veränderung vorgegangen ...«
»Jawohl eine Veränderung!« fiel Gruschenka schnell ein! »Sie haben ein Geheimnis! Mitja hat mir selbst gesagt, daß es da ein Geheimnis gibt. Weißt du, es ist so ein Geheimnis, daß er sich gar nicht mehr beruhigen kann. Aber er war doch früher heiter, und er ist es eigentlich auch jetzt noch – nur, weißt du, wenn er anfängt, den Kopf zu schütteln, und dann im Zimmer auf und ab geht und sich mit dem rechten Zeigefinger und dem Daumen hier an der Schläfe am Haar zupft, dann weiß ich schon, daß eine Unruhe ihn gepackt hat, das weiß ich dann schon! Er war doch sonst heiter, und auch jetzt ist er es noch!«
»Aber du sagtest doch, er sei aufgeregt?«
»Er ist sehr aufgeregt, aber auch heiter. Er ist vorwiegend aufgeregt, aber für Augenblicke wird er heiter, und dann gerät er auf einmal wieder in Aufregung. Und weißt du, Aljoscha, ich muß mich immer über ihn wundern: Ihm steht etwas Furchtbares bevor, und trotzdem lacht er manchmal über nichtige Dinge wie ein kleines Kind!«
»Und es ist wahr, daß er dir verboten hat, mir etwas von Iwans Besuchen zu sagen? Hat er ausdrücklich gesagt: ›Sag ihm nichts davon‹?«
»Ja, so hat er gesagt: ›Sag ihm nichts davon!‹ Vor dir hat Mitja ganz besonders Angst. Denn ein Geheimnis gibt es, das hat er selber gesagt ... Aljoscha, Täubchen, geh hin und bring es heraus, was sie für ein Geheimnis miteinander haben, und dann komm und sag es mir!« fuhr Gruschenka plötzlich flehend auf Aljoscha los! »Klär mich auf, damit ich mein Schicksal erfahre! Deswegen habe ich dich rufen lassen!«
»Du meinst, daß sich dieses Geheimnis irgendwie auf dich bezieht? Wenn dem so wäre, hätte er dir doch überhaupt nichts von einem Geheimnis gesagt.«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht möchte er es gerade mir sagen und wagt es nur nicht. Er bereitet mich vor. Er sagt: ›Es gibt da ein Geheimnis.‹ Nur was für ein Geheimnis, das sagt er nicht.«
»Was denkst du selbst davon?«
»Was ich davon denke? Daß mein Ende gekommen ist, das denke ich. Alle drei sind eifrig bemüht gewesen, mir mein Ende zu bereiten; denn Katka steckt auch dahinter. Katka ist dabei die Hauptperson, von ihr geht alles aus. ‹Was ist sie für ein gutes Wesen‹ – das bedeutet, daß ich keins bin. Das sagt er, um mich vorzubereiten. Er will sich von mir lossagen, das ist das ganze Geheimnis! Das haben sich alle drei zusammen ausgedacht: Mitka, Katka und Iwan Fjodorowitsch. Aljoscha, ich wollte dich schon längst fragen: Vor einer Woche hat er mir auf einmal auch eröffnet, Iwan müsse in Katka verliebt sein, weil er so oft zu ihr gehe. Hat er mir da die Wahrheit gesagt oder nicht? Sag es mir bei deinem Gewissen, schenk mir reinen Wein ein!«
»Ich werde dich nicht belügen. Iwan ist nicht in Katerina Iwanowna verliebt, das ist meine Überzeugung.«
»Na, das habe ich mir gleich gedacht! Er lügt mir etwas vor, der Schamlose, so steht die Sache! Und er tut jetzt meinetwegen eifersüchtig, um mir nachher die Schuld zuzuschieben. Er ist ja ein Dummkopf und kann nichts verheimlichen, so offenherzig ist er ... Aber ich werde es ihm zeigen. Er sagt: ›Du glaubst, daß ich den Mord begangen habe.‹ Das sagt er zu mir, mir macht er so einen Vorwurf! Gott möge es ihm verzeihen! Na warte, das werde ich Katka vor Gericht heimzahlen! Ich werde da etwas sagen, was ihr nicht gefallen wird ... Ich werde alles sagen!«
Und sie fing wieder bitterlich an zu weinen.
»Hör zu, zweierlei kann ich dir mit aller Bestimmtheit versichern, Gruschenka«, sagte Aljoscha und stand auf! »Erstens, daß er dich liebt, mehr als alles auf der Welt, und nur dich, das kannst du mir glauben. Ich weiß es. Ich weiß es genau. Zweitens will ich dir sagen, daß ich ihm sein Geheimnis nicht entlocken werde; sollte er es mir von selber sagen, werde ich ihm geradeheraus erklären, daß ich versprochen habe, es dir mitzuteilen. Dann werde ich zu dir kommen und es dir sagen. Nur scheint mir, von Katerina Iwanowna ist dabei gar nicht die
Weitere Kostenlose Bücher