Die Brüder Karamasow
selber zu diesem Rechtsanwalt gehen und ihm alles persönlich erzählen. Er soll doch für dreitausend Rubel extra aus Petersburg geholt worden sein ...«
»Die dreitausend Rubel haben wir zu dritt gegeben: ich, mein Bruder Iwan und Katerina Iwanowna; den Moskauer Arzt hat sie allein für zweitausend Rubel engagiert. Der Rechtsanwalt Fetjukowitsch hätte eigentlich mehr verlangt; doch dieser Prozeß hat in ganz Rußland Berühmtheit erlangt und wird in allen Zeitungen und Journalen besprochen, da hat Fetjukowitsch mehr um des Ruhmes und des Aufsehens willen eingewilligt zu kommen. Ich habe ihn gestern gesehen.«
»Nun, und? Hast du mit ihm gesprochen?« rief Gruschenka hastig.
»Er hörte mich an und sagte nichts. Er sagte, er habe sich schon eine bestimmte Meinung gebildet. Aber er versprach, meine Worte in Erwägung zu ziehen.«
»In Erwägung zu ziehen! Diese Gauner! Sie werden ihn zugrunde richten! Na und den Arzt, warum hat sie den hergeholt?«
»Als Sachverständigen. Sie wollen beweisen, daß mein Bruder verrückt ist und den Mord in geistiger Umnachtung begangen hat«, sagte Aljoscha mit einem leisen Lächeln! »Aber mein Bruder ist damit nicht einverstanden.«
»Aber das wäre doch die Wahrheit – wenn er überhaupt den Mord begangen hätte!« rief Gruschenka! »Er war damals geistesgestört, völlig geistesgestört, und ich war daran schuld! Aber er hat den Mord ja gar nicht begangen! Und alle sagen sie gegen ihn aus, daß er ihn begangen hat, die ganze Stadt. Sogar Fenja, die hat auch so ausgesagt, daß es herauskommt, als ob er den Mord begangen hätte. Und die in dem Kaufladen und dieser Beamte! Und schon vorher im Restaurant haben es alle gehört! Alle, alle sind sie gegen ihn, sie lärmen und toben nur so!«
»Ja, die belastenden Aussagen haben sich schrecklich vermehrt«, bemerkte Aljoscha finster.
»Und Grigori Wassiljewitsch, der bleibt auch dabei, daß die Tür offengestanden habe! Er behauptet steif und fest, das gesehen zu haben, und läßt sich davon nicht abbringen. Ich bin zu ihm gelaufen und habe selber mit ihm geredet. Er beschimpft einen sogar!«
»Ja, das ist vielleicht die belastendste Aussage gegen den Bruder«, sagte Aljoscha.
»Und was Mitjas Geistesgestörtheit betrifft – er ist ja jetzt noch genauso«, begann Gruschenka auf einmal mit besonders sorgenvoller und geheimnisvoller Miene! »Weißt du, Aljoschenka, ich wollte mit dir schon längst darüber sprechen. Ich gehe alle Tage zu ihm und bin geradezu starr vor Staunen. Was meinst du, wovon er jetzt immerzu redet? Er redet und redet – ich kann nichts verstehen! Ich habe schon gedacht, er redet womöglich etwas Gescheites, und ich kann es in meiner Dummheit nicht verstehen! Er sprach auf einmal von einem ›Kindelein‹, von einem kleinen Kind. ‹Warum‹, sagte er, ›ist das ›Kindelein‹ arm? Für dieses Kindelein werde ich jetzt nach Sibirien gehen. Ich habe nicht gemordet, aber ich muß nach Sibirien gehen!‹ Was das bedeuten soll, was das für ein ›Kindelein‹ sein soll, das ist mir völlig unverständlich. Ich brach in Tränen aus, als er das sagte, weil er es so schön sagte! Er selber weinte, und ich weinte auch. Was bedeutet das, Aljoscha? Erkläre mir das, was ist das für ein ›Kindelein‹ ?«
»Rakitin hat jetzt, ich weiß nicht warum, angefangen, ihn zu besuchen«, erwiderte Aljoscha lächelnd! »Aber das hat doch wohl nichts mit Rakitin zu tun ... Ich bin gestern nicht bei ihm gewesen, heute will ich wieder zu ihm gehen.«
»Nein, das hat nichts mit Rakitin zu tun; das setzt ihm sein Bruder Iwan Fjodorowitsch in den Kopf, der besucht ihn, das ist es ...«, sagte Gruschenka, verstummte dann jedoch plötzlich. Aljoscha starrte sie erstaunt an.
»Er besucht ihn? Tut er das wirklich? Mitja hat mir gesagt, Iwan wäre noch kein einziges Mal zu ihm gekommen.«
»Na ja, da sieht man, was ich für eine bin! Ich habe mich verschnappt!« rief Gruschenka verlegen; sie war auf einmal ganz rot geworden! »Wart mal, Aljoscha, wo ich mich nun doch verschnappt habe, will ich auch die ganze Wahrheit sagen. Er ist zweimal bei ihm gewesen. Das erstemal, gleich nachdem er damals aus Moskau gekommen war, ich war da noch nicht bettlägerig; und das zweitemal besuchte er ihn eine Woche später. Er verbot Mitja aber, dir etwas davon zu sagen, das verbot er ihm ausdrücklich. Er sollte es überhaupt niemandem sagen. Er wollte, daß seine Besuche ein Geheimnis bleiben.«
Aljoscha saß gedankenversunken da und
Weitere Kostenlose Bücher