Die Brüder Karamasow
vieles war ihm verdächtig erschienen. Doch als er vor dem Untersuchungsrichter seine Aussagen machte, hatte Iwan Fjodorowitsch von diesem Gespräch vorläufig geschwiegen; er wollte erst ein Wiedersehen mit Smerdjakow abwarten. Dieser befand sich damals im städtischen Krankenhaus. Doktor Herzenstube und der Arzt Warwinski, den Iwan Fjodorowitsch im Krankenhaus traf, antworteten auf Iwan Fjodorowitschs diesbezügliche Fragen mit aller Bestimmtheit, Smerdjakows epileptischer Anfall sei zweifellos echt; sie wunderten sich sogar über seine Frage, ob er am Tag der Katastrophe nicht simuliert habe. Sie gaben ihm zu verstehen, daß es ein ungewöhnlicher Anfall gewesen sei, der sehr lange gedauert und sich mehrere Tage wiederholt habe, so daß das Leben des Patienten in großer Gefahr gewesen sei und man erst jetzt, nach Ergreifung der erforderlichen Maßnahmen, positiv sagen könne, der Kranke werde am Leben bleiben, obgleich sein Geist möglicherweise, fügte Doktor Herzenstube hinzu, zum Teil gestört bleiben werde, »wenn nicht für das ganze Leben, so doch längere Zeit«. Auf Iwan Fjodorowitschs ungeduldige Frage, ob er also jetzt verrückt sei, wurde ihm geantwortet, im vollen Sinn des Wortes noch nicht, doch seien gewisse abnorme Erscheinungen wahrnehmbar. Iwan Fjodorowitsch nahm sich vor, selbst festzustellen, was das für abnorme Erscheinungen sein mochten. Im Krankenhaus wurde ihm ein Besuch bei dem Kranken sogleich gestattet. Smerdjakow lag im Bett. In dem Raum stand noch ein Bett, das ein gelähmter einheimischer Kleinbürger innehatte; er war von Wassersucht ganz geschwollen, und sein Ableben war offenbar für den nächsten oder übernächsten Tag zu erwarten; stören konnte er bei dem Gespräch nicht. Smerdjakow lächelte mißtrauisch, als er Iwan Fjodorowitsch erblickte, und schien im ersten Augenblick sogar ängstlich zu sein. Wenigstens hatte Iwan Fjodorowitsch kurz diesen Eindruck. Aber das dauerte nur einen Moment. Die ganze übrige Zeit versetzte ihn Smerdjakow durch seine Ruhe geradezu in Erstaunen. Gleich beim ersten Blick gewann Iwan Fjodorowitsch die unzweifelhafte Überzeugung, daß er wirklich schwerkrank war. Er war sehr schwach, sah mager und gelb aus, redete langsam und schien die Zunge nur mit Mühe zu bewegen. Während der zwanzig Minuten, die der Besuch dauerte, klagte er ständig über Kopfschmerzen und über Reißen in allen Gliedern. Sein trockenes, kastratenhaftes Gesicht schien ganz klein geworden zu sein, die Schläfenhaare waren wirr und unordentlich, statt der früheren Tolle ragte nur ein dünner Haarbüschel in die Höhe. Aber das zusammengekniffene linke Auge, das so aussah, als wolle es jemandem zuzwinkern, verriet noch den ehemaligen Smerdjakow! »Auch ein kurzes Gespräch mit einem klugen Menschen ist von Vorteil!« Diese Bemerkung kam Iwan Fjodorowitsch sofort ins Gedächtnis. Er setzte sich am Fußende des Bettes auf einen Schemel.
Smerdjakow drehte sich unter Schmerzen mit dem ganzen Körper auf dem Bett herum, begann jedoch nicht als erster zu reden, sondern schwieg und machte ein Gesicht, als sei er nicht sonderlich neugierig.
»Bist du imstande, mit mir zu reden?« fragte Iwan Fjodorowitsch! »Ich werde dich nicht sehr anstrengen.«
»Dazu bin ich sehr wohl imstande«, stammelte Smerdjakow mit schwacher Stimme! »Sind Sie schon vor längerer Zeit angekommen?« fügte er in freundlichem Ton hinzu, als gelte es, einen verlegenen Besucher aufzumuntern.
»Ich bin erst heute eingetroffen ... Um die Suppe auszulöffeln, die ihr eingerührt habt.«
Smerdjakow seufzte.
»Warum seufzst du? Du hast es gewußt!« polterte Iwan Fjodorowitsch los.
Smerdjakow schwieg in aller Ruhe eine Weile.
»Wie hätte ich das auch nicht wissen sollen? Das war ja im voraus klar. Nur, wie konnte man wissen, daß es eben diesen Verlauf nehmen werde?«
»Was für einen Verlauf? Mach keine Winkelzügel Du hast doch selber vorausgesagt, du würdest einen epileptischen Anfall bekommen, sowie du in den Keller hinabsteigst. Gerade auf den Keller hast du hingewiesen.«
»Haben Sie das schon bei der Vernehmung ausgesagt?« erkundigte sich Smerdjakow ruhig.
Iwan Fjodorowitsch wurde auf einmal ärgerlich.
»Nein, noch nicht, aber ich werde es bestimmt tun. Du wirst mir jetzt vieles erklären müssen, Freundchen. Und das eine sollst du wissen, mein Lieber: Ich lasse mich nicht zum besten haben!«
»Wozu sollte ich Sie denn zum besten haben, wo ich doch auf Sie allein meine ganze Hoffnung setze,
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