Die Brüder Karamasow
habe ich simuliert. Ich simulierte alles. Ich stieg ruhig die Treppe hinab, bis ganz unten, und legte mich hin; dann erst schrie ich los. Und während sie mich hinaustrugen, schlug ich um mich.«
»Moment! Hast du die ganze Zeit über simuliert, auch nachher im Krankenhaus?«
»Keineswegs. Am anderen Tag bekam ich morgens, noch bevor sie mich ins Krankenhaus brachten, einen echten Anfall, und zwar so stark, wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Zwei Tage war ich völlig bewußtlos.«
»Gut, gut. Weiter!«
»Sie legten mich auf das Bett hinter der Bretterwand. Das wußte ich schon vorher, daß sie mich dahin legen würden, weil Marfa Ignatjewna mich jedesmal, wenn ich krank war, dort bei sich bettete. Sie ist immer sehr zärtlich zu mir gewesen, von meiner Geburt an ... In der Nacht stöhnte ich, aber nur leise. Ich wartete immer auf Dmitri Fjodorowitsch.«
»Wie meinst du das? Hast du erwartet, daß er zu dir kam?«
»Warum zu mir? Ich erwartete, daß er zum Haus kam; ich zweifelte nicht im geringsten daran, daß er in dieser Nacht erscheinen würde. Denn da er nun meiner Beihilfe beraubt und ohne Nachrichten war, mußte er unbedingt selber zum Haus kommen, über den Zaun, den er überklettern konnte, und mußte irgend etwas verüben.«
»Und wenn er nun nicht gekommen wäre?«
»Dann wäre auch nichts passiert. Ohne ihn hätte ich mich nicht dazu entschlossen.«
»Gut, gut ... Erzähle verständlicher, übereile dich nicht! Und was die Hauptsache ist, laß nichts aus.«
»Ich erwartete, daß er Fjodor Pawlowitsch totschlagen würde, das hielt ich für sicher. Denn ich hatte schon die letzten Tage in diesem Sinn auf ihn eingewirkt – und ihm vor allen Dingen die bewußten Signale mitgeteilt. Bei seinem Mißtrauen und bei der Wut, die sich bei ihm in diesen Tagen angesammelt hatte, war mit Bestimmtheit zu erwarten, daß er mittels der Signale in das Haus eindringen würde. Da war ich mir sicher. Und darum habe ich ihn auch erwartet.«
»Halt«, unterbrach ihn Iwan! »Hätte er ihn nun totgeschlagen, so hätte er sich ja des Geldes bemächtigt und es mitgenommen, das mußtest du doch annehmen? Was hättest du dann von der Tat gehabt? Das sehe ich nicht ein.«
»Er hätte ja das Geld niemals gefunden. Daß das Geld unter der Matratze lag, hatte ich ihm ja nur eingeredet. Aber das stimmte nicht. Ursprünglich hatte es in der Schatulle gelegen, sehen Sie, so war das. Aber dann hatte ich, der einzige Mensch auf der Welt, dem er traute, Fjodor Pawlowitsch dazu überredet, dieses Päckchen mit dem Geld lieber in der Ecke hinter den Heiligenbildern zu verstecken, weil es dort niemand finden würde, vor allem, wenn es einer eilig hatte. So steckte also dieses Päckchen in der Ecke hinter den Heiligenbildern. Es unter der Matratze aufzubewahren, wäre sowieso lächerlich gewesen, eher schon in der Schatulle, die wenigstens verschlossen war. Hier glauben aber jetzt alle, es hätte unter der Matratze gelegen. Eine ganz dumme Annahme ... Nach diesem Mord wäre also Dmitri Fjodorowitsch, da er nichts gefunden hätte, entweder eilig davongelaufen, aus Furcht vor jedem Geräusch, wie das immer so bei Mördern ist – oder er wäre festgenommen worden. Dann hätte ich immer noch am nächsten Tag oder vielleicht sogar noch in derselben Nacht hinter die Heiligenbilder greifen und das Geld wegnehmen können – und alles wäre Dmitri Fjodorowitsch zur Last gefallen. Darauf konnte ich immer hoffen.«
»Und, wenn er ihn nun nicht totgeschlagen, sondern nur verprügelt hätte?«
»Dann hätte ich natürlich nicht wagen können, das Geld zu nehmen, und alles wäre vergebens gewesen. Aber ich hatte auch noch darauf spekuliert, daß er ihn bewußtlos schlagen würde; dann hätte ich unterdessen das Geld nehmen und später zu Fjodor Pawlowitsch sagen können, daß Dmitri Fjodorowitsch, nachdem er ihn so geprügelt habe, auch das Geld gestohlen haben müsse.«
»Warte, ich verstehe nicht recht. Also hat doch Dmitri den Mord begangen, und du hast nur das Geld genommen?«
»Nein, er hat den Mord nicht begangen. Nun ja, ich könnte Ihnen auch jetzt noch sagen, daß er der Mörder war, doch ich will Ihnen jetzt nichts vorlügen. Denn wenn Sie auch, wie ich sehe, bisher wirklich nichts verstanden hatten und sich nicht vor mir verstellt haben, um Ihre eindeutige Schuld auf mich abzuwälzen, so sind Sie doch an allem schuld, weil Sie von dem Mord wußten und ihn mir auftrugen, selbst aber wegfuhren, obwohl Sie alles wußten. Darum
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