Die Brüder Karamasow
Quadrillion, sondern eine Quadrillion Quadrillionen Kilometer gehen, ja selbst wenn diese Zahl noch zur quadrillionsten Potenz erhoben würde! Kurz, er sang Hosianna und übertrieb das dermaßen, daß von den dort Anwesenden einige mit etwas vornehmerer Denkweise ihm anfangs nicht einmal die Hand geben mochten: Er war allzu eifrig zu den Konservativen übergegangen. Ein echt russischer Charakter! Ich wiederhole, es ist eine Legende; ich gebe sie so wieder, wie ich sie gehört habe. Du siehst also, was für Begriffe dort bei uns über diese Dinge gang und gäbe sind.«
»Jetzt habe ich dich ertappt!« rief Iwan mit einer fast kindlichen Freude, als hätte er sich nun mit Sicherheit an etwas erinnert. Diese Anekdote über die Quadrillion Werst habe ich selbst erfunden! Ich war damals siebzehn Jahre alt und besuchte das Gymnasium. Ich habe diese Anekdote damals erfunden und einem Mitschüler namens Korowkin erzählt; es war in Moskau. Diese Anekdote ist so charakteristisch, daß ich sie von nirgendwoher nehmen konnte. Ich hatte sie beinahe vergessen, doch jetzt ist sie mir unwillkürlich wieder ins Gedächtnis gekommen – mir selbst, hörst du, nicht du hast sie mir erzählt! Wie einem eben tausend Dinge manchmal unwillkürlich ins Gedächtnis kommen, sogar wenn man zum Schafott geführt wird ... Im Traum ist sie mir eingefallen. Und du, du bist dieser Traum! Du bist ein Traum und existierst nicht!«
»Nach der Heftigkeit zu urteilen, mit der du mich verneinst«, erwiderte der Gentleman lachend, »bin ich überzeugt, daß du an mich glaubst.«
»Durchaus nicht! Nicht wie eins zu hundert glaube ich!«
»Aber wie eins zu tausend glaubst du. Die homöopathischen Bruchteile sind vielleicht gerade besonders kräftig. Gestehe, daß du glaubst, na, dann eben wie eins zu zehntausend ...«
»Nicht eine Sekunde!« rief Iwan hitzig! »Übrigens würde ich ganz gern an dich glauben!« fügte er auf einmal seltsam hinzu.
»Aha! Das ist ja doch ein Geständnis! Aber ich bin gut, ich werde dir auch hier behilflich sein. Weißt du was? Ich habe dich ertappt, nicht du mich! Ich habe dir absichtlich deine eigene Anekdote erzählt, die du schon vergessen hattest, damit du den Glauben an mich endgültig verlierst.«
»Du lügst! Der Zweck deines Erscheinens ist, mich davon zu überzeugen, daß du existierst.«
»Ganz richtig. Aber das Schwanken, die Unruhe, der Kampf zwischen Glauben und Unglauben, das ist ja manchmal für einen gewissenhaften Menschen wie dich so eine Qual, daß er sich am liebsten aufhängen möchte. Gerade weil ich weiß, daß du ein Tröpfchen Glauben an mich besitzt, goß ich dir ein Quantum Unglauben hinzu, indem ich dir diese Anekdote erzählte. Ich führe dich zwischen Glauben und Unglauben unaufhörlich hin und her und habe dabei meine bestimmte Absicht. Das ist meine neue Methode. Sobald du allen Glauben an mich verloren hast, wirst du mir sofort ins Gesicht versichern, daß ich kein Traum bin, sondern wirklich existiere – ich kenne dich doch schon! Dann werde ich mein Ziel erreichen, und mein Ziel ist ein edles. Ich werde in dich nur ein winzig kleines Samenkorn des Glaubens legen; daraus wird eine Eiche wachsen, und zwar eine Eiche von solcher Stärke, daß du wünschen wirst, dich zu ›den frommen Einsiedlern und den makellosen Frauen‹ zu gesellen; denn im geheimen trägst du danach ein großes Verlangen. Du wirst Heuschrecken essen und in die Wüste ziehen, um deine Seele zu retten!«
»Also du Taugenichts bist auf die Rettung meiner Seele bedacht?«
»Man muß doch wenigstens mal ein gutes Werk tun. Du ärgerst dich, wie ich sehe?«
»Witzbold! Hast du denn schon einmal solche Leute in Versuchung geführt, die Heuschrecken essen und siebzehn Jahre lang in einer öden Wüste beten, so daß richtiges Moos auf ihnen wächst?«
»Mein Täubchen, das ist ja meine Hauptbeschäftigung. Die ganze Welt und alle Welten vergißt man und heftet sich an einen einzigen solchen Menschen, denn das ist ein höchst wertvoller Brillant! Eine einzige solche Seele ist manchmal so viel wert wie ein ganzes Sternbild – wir haben ja unsere eigene Arithmetik. Ein solcher Sieg ist wertvoll! Und manche von ihnen stehen dir weiß Gott an Bildung nicht nach, wenn du es auch vielleicht nicht glaubst. Sie können solche Abgründe des Glaubens und des Unglaubens in einem einzigen Augenblick im Geist schauen, daß manchmal wirklich nur ein Haarbreit zu fehlen scheint, und der Mensch stürzt ›mit den Beinen nach oben‹
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