Die Brüder Karamasow
gespottet hat. Was ist da zu machen, junger Mann? Vorhin, als ich mich auf den Weg zu dir machte, eigentlich hatte ich die Absicht, mich zum Scherz in der Gestalt eines Wirklichen Staatsrates a. D. zu präsentieren, der im Kaukasus angestellt war und den Stern des persischen Löwen- und Sonnenordens auf dem Frack hat, aber ich fürchtete mich geradezu, es zu tun – du hättest mich dafür höchstens verprügelt, daß ich mich erdreistete, nur den Löwen- und Sonnenorden an den Frack zu hängen und nicht wenigstens den Polarstern oder den Sirius ... Und immerzu sagst du, ich sei dumm. Doch ich erhebe ja auch gar keinen Anspruch darauf, dir an Verstand gleichzukommen. Als Mephistopheles zu Faust kam, da erklärte er von sich, er wolle das Böse, schaffe aber nur das Gute. Nun, mag das sein, wie es ihm beliebt – bei mir ist das genaue Gegenteil der Fall. Ich bin vielleicht der einzige Mensch in der ganzen Natur, der die Wahrheit liebt und aufrichtig das Gute wünscht. Ich war zugegen, als das am Kreuz gestorbene Wort zum Himmel emporstieg und die Seele des zu seiner Rechten gekreuzigten Schächers an seiner Brust hielt; ich hörte das freudige Jauchzen der Hosianna singenden Cherubim und den donnernden Jubelruf der Seraphim, von dem der Himmel und das ganze Weltgebäude erzitterte. Und ich schwöre bei allem, was heilig ist, ich wollte schon in den Chor einstimmen und mit allen Hosianna rufen. Schon stieg der Ruf aus meiner Brust und wollte sich von meinen Lippen losreißen ... Ich bin ja, wie du weißt, sehr empfindsam und für künstlerische Dinge sehr empfänglich. Doch die gesunde Vernunft, diese unglücklichste Eigenschaft meines Wesens, hielt mich auch damals in den gebührenden Schranken, und ich ließ den Augenblick vorübergehen! ›Denn was wäre die Folge meines Hosianna?‹ dachte ich in diesem Moment. Sofort würde alles in der Welt erlöschen, und keine Ereignisse würden mehr eintreten ... Und so sah ich mich einzig und allein wegen meiner Amtspflicht und meiner sozialen Stellung genötigt, die gute Regung des Augenblicks in mir zu unterdrücken und bei den Gemeinheiten zu bleiben. Die Ehre, Gutes zu tun, nimmt ein anderer total für sich in Anspruch, und als mein Anteil bleiben nur die Gemeinheiten. Aber ich beneide ihn nicht um die Ehre, auf anderer Leute Kosten zu leben, ich bin nicht ehrgeizig. Warum bin von allen Wesen auf der Welt nur ich allein dazu verurteilt, von allen anständigen Leuten verflucht und sogar mit Fußtritten bedacht zu werden? Denn wenn ich mich verkörpere, muß ich manchmal auch solche Konsequenzen mit in Kauf nehmen. Ich weiß wohl, daß ein Geheimnis dahintersteckt, doch dieses Geheimnis will man mir um keinen Preis enthüllen; ich könnte nämlich, wenn ich gemerkt hätte, um was es sich handelt, womöglich ›Hosianna!‹ schreien, und dann würde sogleich das unentbehrliche Minus verschwinden und in der ganzen Welt die Vernunft anheben, damit hätte jedoch selbstverständlich alles ein Ende, sogar die Zeitungen und Journale, denn wer würde sie dann noch abonnieren? Ich weiß, am Ende werde auch ich mich aussöhnen und meine Quadrillion Kilometer ablaufen und das Geheimnis erfahren. Aber bis es dahin kommt, schmolle ich und erfülle, meinen Ärger verbeißend, meine Bestimmung: Tausende zugrunde zu richten, damit ein einziger gerettet wird. Wieviel Seelen mußten zum Beispiel zugrunde gerichtet und wieviel ehrenhafte Reputationen verdorben werden, um nur den einen gerechten Hiob zustande zu bringen, mit dem ich seinerzeit so schändlich angeführt wurde! Nein, solange mir das Geheimnis nicht enthüllt ist, existieren für mich zwei Wahrheiten: erstens ihre dort, die mir vorläufig ganz unbekannt ist, und zweitens meine. Und es steht noch dahin, welche die reinere Wahrheit sein wird ... Du bist eingeschlafen?«
»Gott bewahre!« stöhnte Iwan wütend! »Alles, was es in meinem Wesen Dummes gibt, längst Abgetanes, in meinem Verstand Wiedergekäutes, wie Aas Weggeworfenes – alles das setzt du mir wieder vor als etwas ganz Neues!«
»Also habe ich es wieder nicht getroffen! Und ich hatte schon gehofft, durch die belletristische Darstellungsweise dein Interesse zu erregen. Dieses Hosianna im Himmel kam doch wirklich nicht übel heraus? Und dann eben dieser sarkastische Ton à la Heine, nicht wahr?«
»Nein, ich bin nie so eine Knechtsseele gewesen. Wie hat meine Seele nur eine Bedientenseele wie dich hervorbringen können?«
»Mein Freund, ich kenne einen ganz
Weitere Kostenlose Bücher