Die Brüder Karamasow
verächtlich ist! Ja, ich bin ein Romantiker, das hat er heimlich beobachtet ... Obwohl es eine Verleumdung ist. Er ist furchtbar dumm, doch dadurch gewinnt er die Oberhand. Er ist schlau, tierisch schlau; er hat gewußt, wodurch er mich in Wut bringen konnte. Er hat mich immer geneckt, als glaubte ich an ihn, und mich dadurch gezwungen, ihn anzuhören. Wie einen kleinen Jungen hat er mich angeführt. Er hat über mich übrigens viel Wahres gesagt. Ich hätte mir das selber nie gesagt. Weißt du, Aljoscha, weißt du ...«, fügte Iwan sehr ernst und gewissermaßen vertraulich hinzu! »Ich würde sehr wünschen, daß er wirklich er wäre und nicht ich!«
»Er hat dich gequält!« sagte Aljoscha und blickte seinen Bruder mitleidig an.
»Er hat mich geneckt! Und weißt du, geschickt, sehr geschickt. ›Das Gewissen! Was ist das Gewissen? Ich mache das Gewissen selbst. Warum quäle ich mich aber? Aus Gewohnheit. Weil sich die gesamte Menschheit seit sieben Jahrtausenden daran gewöhnt hat. Wir wollen es uns also abgewöhnen, und wir werden Götter sein.‹ Das hat er gesagt!«
»Und nicht du, nicht du?« rief Aljoscha zutiefst bewegt und sah den Bruder mit hellen Augen an! »Nun, dann laß ihn, kümmere dich nicht um ihn, vergiß ihn! Soll er alles, was du jetzt verfluchst, mit sich fortnehmen und nie wiederkommen!«
»Ja, aber er ist boshaft. Er hat sich über mich lustig gemacht. Er war dreist, Aljoscha«, sagte Iwan, zitternd ob der erlittenen Kränkung! »Aber er hat mich verleumdet, in vielem hat er mich verleumdet. Er hat mir ins Gesicht Unwahrheiten über mich gesagt. ›Oh, du wirst hingehen, um eine Heldentat der Tugend zu vollbringen, indem du erklärst, du seist der Mörder deines Vaters und der Diener habe nur auf deine Veranlassung deinen Vater ermordet ...‹«
»Bruder«, unterbrach ihn Aljoscha, »hör auf! Nicht du hast den Mord begangen. Das ist eine Unwahrheit!«
»Er ist es, der das sagt, er, und er weiß es. ›Du wirst hingehen, um eine Heldentat der Tugend zu vollbringen, aber du glaubst ja gar nicht an die Tugend – das ist es, was dich ärgert und quält, und das ist auch der Grund, weshalb du so rachsüchtig bist!‹ Das hat er über mich gesagt, und er weiß, was er sagt ...«
»Das sagst du, nicht er!« rief Aljoscha traurig! »Und du sagst es, weil du dich in deiner Krankheit, im Fieber, selber quälst!«
»Nein, er weiß, was er sagt. ›Du wirst aus Stolz hingehen‹, sagt er, ›wirst dich hinstellen und sagen: Ich bin es, der den Mord begangen hat! Warum windet ihr euch vor Entsetzen? Ihr lügt! Ich verachte eure Meinung, ich verachte euer Entsetzen!‹ Das sagt er von mir, und dann fügt er noch hinzu: ›Aber weißt du, du möchtest, daß sie dich loben. Er ist ein Verbrecher! sollen sie sagen. Ein Mörder, doch was hat er für hochherzige Gefühle! Er hat seinen Bruder retten wollen und darum seine Tat gestanden!‹ Aber das ist wieder eine Lüge, Aljoscha!« rief Iwan plötzlich mit funkelnden Augen! »Ich will gar nicht, daß mich dieses Gesindel lobt! Das ist eine Lüge von ihm, Aljoscha, eine Lüge, das schwöre ich dir! Ich habe deshalb mit dem Glas nach ihm geworfen, und es ist an seiner Fratze zerbrochen.«
»Bruder, beruhige dich! Hör auf!« bat Aljoscha.
»Nein, er versteht es, einen zu quälen, er ist grausam«, fuhr Iwan fort, ohne auf ihn zu hören! »Ich habe immer geahnt, weshalb er kommt. ›Wenn es auch der Stolz war‹, sagt er, ›der dich trieb, so hattest du dabei doch immer die Hoffnung, sie würden Smerdjakow für schuldig erkennen und zur Zwangsarbeit nach Sibirien schicken, würden Mitja freisprechen und dich nur moralisch verurteilen, und die anderen würden dich uneingeschränkt loben. Doch nun ist Smerdjakow tot, hat sich erhängt – na, wer wird dir vor Gericht jetzt Glauben schenken? Aber du wirst ja trotzdem hingehen, du hast beschlossen hinzugeben. Zu welchem Zweck wirst du unter diesen Umständen hingehen?‹ Das ist furchtbar, Aljoscha! Ich kann solche Fragen nicht ertragen. Wer wagt es, mir solche Fragen vorzulegen?«
»Bruder«, unterbrach ihn Aljoscha, der noch immer zu hoffen schien, er könnte Iwan zur Vernunft zurückbringen! »Wie konnte er dir denn vor meinem Kommen von Smerdjakows Tod erzählen, als noch niemand etwas davon wußte und niemand bei der Kürze der Zeit etwas davon hatte erfahren können?«
»Er hat davon gesprochen«, erwiderte Iwan in entschlossenem Ton, als wollte er jeden Zweifel zurückweisen! »Ja, eigentlich
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