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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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für Rußland charakteristisch war und so weiter und so weiter. Zu der persönlichen Seite der Sache, der ihr innewohnenden Tragödie und zu den Charakteren der Beteiligten verhielt er sich ziemlich gleichgültig; er betrachtete alles von einem abstrakten Standpunkt aus, was übrigens vielleicht auch ganz in der Ordnung war.
    Schon lange vor dem Erscheinen des Gerichts war der Saal gedrängt voll. Dieser Gerichtssaal war der beste Saal in unserer Stadt, geräumig, hoch und mit guter Akustik. Rechts von den Mitgliedern des Gerichtshofs, die ihre Plätze auf einer Erhöhung hatten, waren ein Tisch und zwei Reihen Stühle für die Geschworenen bereitgestellt. Links war der Platz des Angeklagten und seines Verteidigers. In der Mitte des Saales, nicht weit von den Plätzen des Gerichtshofs, stand ein Tisch mit den »sachlichen Beweisstücken«. Auf ihm lagen Fjodor Pawlowitschs blutiger weißseidener Schlafrock, der Messingstößel, mit dem der Annahme nach der Mord ausgeführt worden war, Mitjas Hemd mit dem blutbefleckten Ärmel, sein Rock mit dem großen Blutflecken hinten an der Tasche, in die er damals sein von Blut durchnäßtes Taschentuch gesteckt hatte, ferner das Taschentuch selbst, das von dem Blut hart und steif und bereits ganz gelb geworden war, die Pistole, die Mitja bei Perchotin für den Selbstmord geladen und die ihm Trifon Borissowitsch in Mokroje heimlich weggenommen hatte, das Kuvert mit der Aufschrift, in dem sich die dreitausend Rubel für Gruschenka befunden hatten, das schmale rosa Bändchen, mit dem es umbunden gewesen war, und noch viele andere Gegenstände, die ich nicht mehr im Gedächtnis habe. Weiter hinten, in der Tiefe des Saales, begannen die Plätze für das Publikum; noch vor der Balustrade standen einige Lehnstühle für diejenigen Zeugen, die man nach ihren Aussagen noch im Saal behalten wollte. Um zehn Uhr erschien der Gerichtshof, bestehend aus dem Präsidenten, einem Beisitzer und einem Ehrenfriedensrichter; selbstverständlich erschien auch der Staatsanwalt sofort. Der Präsident war ein stämmiger, breitschultriger, knapp mittelgroßer Mann mit hämorrhoidalem Gesicht, ungefähr fünfzig Jahre alt, mit dunklem, graumeliertem, kurzgeschorenem Haar und mit dem roten Band irgendeines Ordens. Der Staatsanwalt hingegen kam mir – und nicht nur mit – sehr bleich vor, ja beinahe grün im Gesicht; er schien plötzlich magerer geworden zu sein, vielleicht in einer einzigen Nacht, denn als ich ihm zwei Tage vorher begegnet war, hatte er noch unverändert ausgesehen. Der Präsident begann mit der Frage an den Gerichtsinspektor, ob die Geschworenen sämtlich erschienen seien ... Ich sehe jedoch, daß ich so nicht fortfahren kann, schon deswegen nicht, weil ich vieles nicht deutlich gehört, anderes nicht immer richtig verstanden, wieder anderes vergessen habe, hauptsächlich aber weil ich weder Zeit noch Raum genug habe, um alles, was gesagt wurde und was vorging, lückenlos anführen zu können. Ich weiß nur, daß von der einen und von der anderen Partei, das heißt vom Verteidiger und vom Staatsanwalt, nicht sehr viele Geschworene abgelehnt wurden. Die Zusammensetzung der Geschworenenbank habe ich im Gedächtnis behalten: vier von unseren Beamten, zwei Kaufleute und sechs Bauern und Kleinbürger aus unserer Stadt. Ich erinnere mich, schon lange vor der Gerichtsverhandlung hatten bei uns viele Leute und besonders die Damen mit einiger Verwunderung gefragt: »Wird in so einer subtilen, komplizierten, psychologisch schwierigen Sache die verhängnisvolle Entscheidung wirklich irgendwelchen Beamten und Bauern überlassen? Was versteht denn ein Beamter oder gar ein Bauer davon?« Tatsächlich waren diese vier Beamten, die da unter die Geschworenen geraten waren, sämtlich kleine Leute von niedrigem Rang. Sie waren schon grauhaarig, nur einer von ihnen war etwas jünger; in unserer Stadt kannte man sie nur wenig: Sie vegetierten bei geringem Gehalt so dahin und hatten gewiß alte Frauen, die sie nirgends präsentieren konnten, und dazu einen Haufen barfüßiger Kinder. In ihrer Freizeit vergnügten sie sich wohl höchstens irgendwo beim Kartenspiel und lasen natürlich niemals ein Buch. Die beiden Kaufleute machten zwar einen soliden Eindruck, waren jedoch eigenartig schweigsam und regungslos; der eine von ihnen hatte ein glattrasiertes Gesicht und trug einen Anzug nach deutscher Fasson; der andere, mit leicht ergrautem Bärtchen, hatte am Hals irgendeine Medaille an einem roten Band hängen.

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