Die Brueder Karamasow
ich werde auch hingehen und zusehen!« rief Kalganow und lehnte so in der naivsten Weise Gruschenkas Angebot ab.
Es begaben sich also alle hin, um zuzusehen. Maximow führte seinen Tanz wirklich aus, erregte damit aber bei niemand, außer hei Mitja, sonderliches Entzücken. Der ganze Tanz bestand aus besonderen Sprüngen, wobei die Füße seitwärts gedreht wurden, mit den Sohlen nach oben; bei jedem Sprung schlug sich Maximow mit der flachen Hand auf eine Sohle. Kalganow fand keinen Gefallen daran; Mitja hingegen umarmte und küßte den Tänzer sogar.
»Vielen, vielen Dank! Vielleicht bist du erschöpft? Möchtest du ein Stückchen Konfekt, ja? Oder willst du vielleicht eine Zigarre?«
»Eine Zigarette.«
»Möchtest du etwas trinken?«
»Ich werde einen kleinen Likör trinken ... Haben Sie kein Schokoladenkonfekt?«
»Da auf dem Tisch ist ja eine ganze Fuhre davon. Such dir etwas aus, du Taubenseele!«
»Nein, ich möchte welches mit Vanille ... Für alte Männer ... Hihi!«
»Nein, Bruder, diese besondere Sorte ist nicht da.«
»Hören Sie mal ...« Der Alte beugte sich ganz dicht an Mitjas Ohr. »Sehen Sie dieses Mädchen da? Die Marjuschka, hihi! Ich möchte gern, wenn es möglich wäre, durch Ihre Güte mit ihr bekannt werden ...«
»Nun sieh mal einer an, was du für Wünsche hast! Nein, Bruder, du redest Unsinn.«
»Ich tu' ja niemand was zuleide damit«, flüsterte Maximow wehmütig.
»Na schön. Hier wird zwar nur gesungen und getanzt, aber zum Teufel, warte ein Weilchen ... Vorläufig iß und trink und sei lustig! Brauchst du Geld?«
»Wenn ich vielleicht nachher etwas bekommen könnte?« erwiderte Maximow lächelnd.
»Gut, gut ...«
Mitja hatte einen glühend heißen Kopf. Er ging auf den Flur hinaus und von da aus auf die obere Galerie, die sich auch innen, auf der Hofseite, an einem Teil des Gebäudes hinzog. Die frische Luft belebte ihn. Er stand allein, in der Dunkelheit, und griff sich plötzlich mit beiden Händen an den Kopf. Seine zerstreuten Gedanken und alle seine Empfindungen flossen auf einmal zusammen, und alles wurde klar und hell. Aber es war eine furchtbare, entsetzliche Helligkeit! ›Wenn ich mich nun einmal erschießen will, welcher Zeitpunkt könnte geeigneter sein als der jetzige?‹ ging es ihm durch den Kopf. Ich sollte die Pistole holen und hier in diesem schmutzigen, dunklen Winkel allem ein Ende machen ...‹ Fast eine Minute lang stand er unentschlossen da. Vorhin, als er im Wagen hierherjagte, hatte hinter ihm die Schande gestanden, der begangene Diebstahl und dieses Blut, dieses Blut! Doch da wäre es ihm noch leichter gefallen, sich das Leben zu nehmen, oh, viel leichter! Es war ja schon alles ausgewesen: er hatte sie verloren, hatte sie dem anderen abgetreten, sie war für ihn untergegangen, verschwunden – oh, da war es leichter für ihn, das Todesurteil über sich zu fällen; wenigstens erschien es als unvermeidlich, als notwendig: wozu sollte er noch auf der Welt bleiben? Aber jetzt – stand die Sache etwa jetzt noch so wie vorhin? Jetzt war wenigstens ein Gespenst, ein Schreckbild beseitigt: dieser »Frühere« war verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Das furchtbare Gespenst hatte sich auf einmal in ein kleines, komisches Menschlein verwandelt, war ins Schlafzimmer geschickt und eingeschlossen worden. Daß es jemals zurückkehren würde, war nicht zu erwarten. Sie schämte sich, und er sah es ihr schon jetzt an den Augen an, wen sie liebte. Ach, gerade jetzt verlangte ihn zu leben, zu leben ... Und doch durfte er nicht weiter leben, er durfte nicht – oh, was für eine furchtbare Lage!
›O Gott, mach den bitte wieder lebendig, den ich am Zaun niedergeschlagen habe! Laß diesen schrecklichen Kelch an mir vorübergehen? O Herr, du hast ja bereits für solche Sünder wie mich Wunder getan! Aber wie, wenn der alte Mann am Leben ist? Oh, dann werde ich die Schmach der übrigen Schande tilgen! Ich werde das gestohlene Geld zurückerstatten! Ich werde es zurückgeben, und wenn ich es aus der Erde hervorholen müßte ... Es wird keine Spur der Schande übrigbleiben – nur in meinem Herzen wird sie lebenslänglich bohren! Aber nein, nein ... O diese unmöglichen, kleinmütigen Gedanken! O diese unselige Lage!‹
Und doch war es ihm, als ob ihm ein heller Hoffnungsstrahl in der Dunkelheit aufleuchtete. Er verließ hastig seine Ecke, um zurückzueilen – zu ihr, wieder zu ihr, die für immer seine Königin war! Wiegt nicht eine einzige Stunde, eine
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