Die Brueder Karamasow
ohne sie aus seinen Armen zu lassen, kniete er neben dem Bett auf dem Fußboden nieder.
»Ich weiß, du bist zwar wie ein wildes Tier, aber du hast eine edle Gesinnung«, sagte Gruschenka mit schwerer Zunge. »Es muß in Ehren geschehen ... Künftig wird es in Ehren geschehen ... Und auch wir müssen ehrenhaft sein, nicht so wie die wilden Tiere, sondern gut ... Bring mich fort, bring mich weit fort, hörst du? Ich will nicht hierbleiben, ich will weit, weit fort ...«
»Ja, ja, unbedingt!« rief Mitja und preßte sie an sich. »Ich werde dich fortbringen, wir werden davoneilen. Oh, mein ganzes Leben würde ich für ein einziges Jahr hingeben, wenn ich nur wüßte, was mit diesem Blut ist!«
»Mit welchem Blut?« fragte Gruschenka verständnislos.
»Ach, nichts weiter!« antwortete Mitja zähneknirschend. »Gruscha, du willst, daß alles ehrenhaft ist – aber ich bin ein Dieb. Ich habe Katka Geld gestohlen.... Schmach und Schande!«
»Katka? Dem Fräulein? Nein, du hast es nicht gestohlen. Gib es ihr zurück, nimm es von mir! Warum machst du deshalb so ein Geschrei? Jetzt gehört dir alles, was ich habe. Was hat Geld für uns zu bedeuten? Wir vergeuden es ja ohnehin ... Wir sind gerade die Richtigen, um vernünftig damit umzugehen! Wir beide sollten am besten hingehen und einen Acker pflügen. Mit diesen meinen Händen will ich die Erde aufscharren. Arbeiten muß man, hörst du? Aljoscha hat es gesagt. Ich werde nicht deine Geliebte sein, ich werde dir treu sein, ich werde deine Sklavin sein, ich werde für dich arbeiten. Wir werden zu dem Fräulein hingehen und uns beide vor ihr verneigen mit der Bitte, uns zu verzeihen, und werden dann von hier fortziehen. Und wenn sie uns nicht verzeiht, werden wir eben so fortziehen. Das Geld bring ihr wieder, aber liebe mich! Sie darfst du nicht lieben. Liebe sie nicht länger! Wenn du dich jedoch in sie verliebst, werde ich sie erwürgen ... Ihr beide Augen mit einer Nadel ausstechen ...«
»Dich liebe ich, dich allein! Auch in Sibirien werde ich dich lieben ...«
»Was sollen wir in Sibirien? Aber gut, auch in Sibirien, wenn du willst, ganz gleich ... Wir werden arbeiten ... In Sibirien liegt Schnee. Ich fahre gern im Schlitten durch den Schnee ... Und das Pferd muß ein Glöckchen haben ... Hörst du, ein Glöckchen klingelt ... Wo klingelt da ein Glöckchen? Es kommen Leute, jetzt klingelt es nicht mehr ...«
Sie schloß kraftlos die Augen und schien im nächsten Moment einzuschlafen. Tatsächlich hatte ein Glöckchen in einiger Entfernung geklingelt und dann plötzlich geschwiegen. Mitja legte seinen Kopf an ihre Brust. Er hatte nicht bemerkt, wie das Glöckchen aufgehört hatte zu klingeln; er bemerkte gleichfalls nicht, daß auch die Lieder plötzlich verstummten und statt der Lieder und des Lärms im ganzen Haus auf einmal Totenstille herrschte. Gruschenka öffnete die Augen.
»Was ist das? Habe ich geschlafen? Ja ... Das Glöckchen ... Ich habe geschlafen und geträumt, ich fuhr im Schlitten über den Schnee ... Das Glöckchen klingelte, und ich träumte vor mich hin ... Mit einem lieben Menschen fuhr ich, mit dir. Und weil, weit weg ging die Fahrt. Ich umarmte und küßte dich, ich schmiegte mich an dich; ich fror, aber der Schnee glänzte so schön ... Weißt du, wie es ist, wenn nachts der Schnee glänzt und der Mond scheint? Mir war, als wäre ich gar nicht auf der Erde ... Da wachte ich auf ... Aber mein Geliebter ist bei mir, wie schön ...«
»Ja, bei dir«, murmelte Mitja und küßte ihr Kleid, ihre Brust, ihre Hände. Und auf einmal kam ihm etwas seltsam vor: Sie schien starr vor sich hin zu blicken, aber nicht zu ihm, nicht in sein Gesicht, sondern über seinen Kopf hinweg, unverwandt und seltsam regungslos. Auf ihrem Gesicht prägte sich Verwunderung, ja beinahe Schrecken aus.
»Mitja, wer guckt da zu uns herüber?« flüsterte sie plötzlich.
Mitja drehte sich um und sah, daß tatsächlich jemand den Vorhang auseinandergeschoben hatte und sie offenbar beobachtete. Und es schien auch nicht bloß einer zu sein ... Er sprang auf und trat schnell auf die Gestalt zu.
»Kommen Sie hierher, bitte! Kommen Sie hierher zu uns!« sagte eine Stimme zu ihm, nicht laut, aber fest und nachdrücklich.
Mitja trat hinter dem Vorhang hervor und erstarrte. Das ganze Zimmer war voller Menschen; doch es waren nicht die von vorhin, sondern ganz andere ... Ein Schauder lief ihm über den Rücken, und er zuckte zusammen. Er erkannte alle diese Personen augenblicklich.
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