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Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
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eben in der Absicht, in dieser Absicht die Schmach besteht! Sehen Sie, dieser alte Mann, der Verstorbene, belästigte Agrafena Alexandrowna immer, und ich war eifersüchtig und dachte damals, sie schwanke zwischen mir und ihm, und da dachte ich jeden Tag: Wie nun, wenn sie plötzlich ihre Wahl trifft? Wie nun, wenn sie es plötzlich satt hat, mich zu quälen, und auf einmal zu mir sagt: ›Dich liebe ich, nicht ihn! Bring mich fort bis ans Ende der Welt!‹ Und ich besitze nur zwei Zwanzigkopekenstücke – womit soll ich sie dann fortbringen, was soll ich dann machen? Dann bin ich verloren ... Ich kannte ja damals ihren Charakter noch nicht und dachte, ihre Wünsche gingen aufs Geld und sie würde mir meine Armut nicht verzeihen. Also zählte ich heimtückisch die Hälfte von den dreitausend Rubeln ab und nähte sie ein, kaltblütig, mit berechneter Absicht, noch ehe ich betrunken war, und erst dann fuhr ich weg, um die andere Hälfte zu verjubeln! Nein, das war eine Gemeinheit! Haben Sie nun verstanden?«
    Der Staatsanwalt lachte laut auf, der Untersuchungsrichter ebenfalls.
    »Meiner Meinung nach war es sogar vernünftig und moralisch, daß Sie sich gemäßigt und nicht das ganze Geld durchgebracht haben«, kicherte Nikolai Parfjonowitsch. »Was ist denn eigentlich dabei?«
    »Daß ich gestohlen habe, das ist dabei! O mein Gott, ich bin entsetzt über Ihre Verständnislosigkeit! Während ich diese fünfzehnhundert Rubel eingenäht auf der Brust trug, sagte ich mir immerzu: ›Du bist ein Dieb, du bist ein Dieb!‹ Und deshalb war ich diesen Monat über auch so wütend, deshalb prügelte ich mich im Restaurant, deshalb schlug ich meinen Vater – weil ich mich als Dieb fühlte! Nicht einmal meinem Bruder Aljoscha gegenüber hatte ich den Mut, etwas von diesen fünfzehnhundert Rubeln anzudeuten, so sehr fühlte ich, daß ich ein Schuft und Gauner war! Sie müssen wissen, daß ich jeden Tag und jede Stunde, solange ich dieses Geld bei mir trug, zu mir sagte: ›Nein, Dmitri Fjodorowitsch, du bist vielleicht noch kein Dieb! Warum nicht? Weil du morgen hingehen und Katja diese fünfzehnhundert Rubel zurückgeben kannst!‹ Und erst gestern, als ich von Fenja zu Perchotin ging, entschloß ich mich, mir das Säckchen vom Hals zu reißen; bis zu jenem Augenblick hatte ich mich nicht dazu entschließen können. Und als ich es abriß, in diesem Moment wurde ich endgültig und unstreitig ein Dieb, ein Dieb und ein ehrloser Mensch fürs ganze Leben. Warum? Weil ich damit gleichzeitig auch meinen Plan zerstört hatte, zu Katja zu gehen und zu ihr zu sagen: ›Ich bin ein Schuft, aber kein Dieb!‹ Verstehen Sie es jetzt?«
    »Und warum haben Sie sich nun gestern abend dazu entschlossen?« unterbrach ihn Nikolai Parfjonowitsch.
    »Warum? Das ist eine lächerliche Frage! Weil ich mich zum Tode verurteilt hatte, um fünf Uhr morgens, hier, bei Tagesanbruch. Es ist ja ganz gleich, dachte ich, ob ich als Dieb sterbe oder als anständiger Mensch Aber so ist es nicht, es hat sich herausgestellt, daß das nicht ganz gleich ist! Können Sie es glauben, meine Herren: Nicht das hat mich in dieser Nacht am meisten gequält, daß ich den alten Diener totgeschlagen hatte, wie ich glaubte, und mir Sibirien drohte, und das ausgerechnet zu der Zeit, wo meine Liebe gekrönt wurde und der Himmel sich von neuem vor mir auftat! Oh, das hat mich gequält, ja, aber nicht so wie dieses verfluchte Bewußtsein, daß ich mir dieses verfluchte Geld von der Brust gerissen und verjubelt hatte und also jetzt endgültig zum Dieb geworden war! O meine Herren, ich wiederhole es Ihnen in tiefstem Schmerz: Vieles habe ich in dieser Nacht gelernt! Ich habe gelernt, daß es nicht nur unmöglich ist, als Dieb zu leben, sondern auch, als Dieb zu sterben ... Nein, meine Herren, man muß als Ehrenmann sterben!«
    Mitja war blaß. Sein Gesicht hatte einen erschöpften, zerquälten Ausdruck, obgleich er höchst erregt war.
    »Ich fange an, Sie zu verstehen, Dmitri Fjodorowitsch«, sagte der Staatsanwalt gedehnt in sanftem, sogar teilnahmsvoll klingendem Ton. »Aber all das, nehmen Sie es mir nicht übel, sind meiner Ansicht nach nur Ihre kranken Nerven. Warum haben Sie zum Beispiel nicht, um sich von diesen, fast einen Monat andauernden Qualen zu befreien, diese fünfzehnhundert Rubel der Person zurückgegeben, die sie Ihnen anvertraut hatte? Warum haben Sie sich nicht zunächst mit ihr ausgesprochen und dann in Anbetracht Ihrer damaligen Lage den Versuch gemacht, der

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