Die Brueder Karamasow
fällt es mir ein. Ich hatte ihr tatsächlich einmal eine Haube weggenommen, als Wischlappen oder vielleicht um die Feder damit abzuwischen. Ich hatte sie, ohne ein Wort darüber zu sagen, an mich genommen, weil es ein ganz unbrauchbarer Fetzen war, der in meiner Stube herumlag. Und da hatte ich nun diese fünfzehnhundert Rubel, nahm das Ding und nähte sie darin ein ... Ja, ich glaube, in diesen Fetzen habe ich sie eingenäht. Es war ein alter Kalikolumpen, schon tausendmal gewaschen.«
»Und Sie erinnern sich jetzt mit Sicherheit daran?«
»Ich weiß nicht, ob mit Sicherheit. Ich glaube, ich habe das Geld in die Haube eingenäht. Ach, ich spucke drauf.«
»Dann könnte sich wenigstens Ihre Wirtin erinnern, daß ihr dieser Gegenstand abhanden gekommen ist?«
»Gewiß nicht. Sie hat das Ding gar nicht vermißt. Es war ein alter Lappen, sage ich Ihnen, ein alter Lappen, der keinen Groschen wert war.«
»Und wo nahmen Sie Nadel und Faden her?‹
»Ich höre auf, ich will nicht mehr antworten. Jetzt ist es genug!« rief Mitja zornig.
»Und wiederum ist es seltsam, daß Sie so völlig vergessen haben, an welcher Stelle auf dem Marktplatz Sie dieses Säckchen weggeworfen haben.«
»Lassen Sie doch morgen den Platz fegen, vielleicht finden Sie es«, versetzte Mitja lächelnd. »Genug, meine Herren, genug!« fuhr er mit matter Stimme fort. »Ich sehe deutlich, daß Sie mir nicht glauben! Gar nichts, nicht für einen Groschen! Daran bin ich selber schuld, nicht Sie. Ich hätte Ihnen nicht damit kommen sollen. Warum habe ich mich bloß durch die Enthüllung meines Geheimnisses entehrt? Ihnen erscheint es lächerlich, das sehe ich Ihnen an den Augen an. Sie, Herr Staatsanwalt, haben mich dazu verleitet ... Stimmen Sie ein Triumphlied an, wenn Sie können ... Seid verflucht, ihr Folterknechte!«
Er senkte den Kopf und bedeckte das Gesicht mit den Händen; Staatsanwalt und Untersuchungsrichter schwiegen. Nach einer Minute hob er den Kopf wieder und blickte sie gedankenlos an. Auf seinem Gesicht zeigte sich jetzt totale Verzweiflung; er saß still und stumm und wie geistesabwesend da.
Die Sache mußte jedoch zu Ende gebracht werden; man mußte unverzüglich zur Vernehmung der Zeugen übergehen. Es war bereits acht Uhr morgens, die Kerzen waren längst gelöscht. Michail Makarowitsch und Kalganow, die während des Verhörs ständig herein- und hinausgelaufen waren, hatten gerade wieder einmal das Zimmer verlassen. Der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter sahen ebenfalls sehr ermüdet aus. Der anbrechende Morgen hatte feuchte Witterung gebracht; der ganze Himmel war mit Wolken bedeckt, und der Regen goß wie aus Eimern herunter. Mitja starrte gedankenlos zu den Fenstern.
»Darf ich wohl einmal durchs Fenster sehen?« fragte er plötzlich Nikolai Parfjonowitsch.
»Oh, soviel Ihnen beliebt«, antwortete dieser.
Mitja stand auf und trat ans Fenster. Der Regen schlug heftig gegen die kleinen grünlichen Scheiben. Unter dem Fenster war die schmutzige Landstraße zu sehen und weiter hinten, durch den Regenschleier hindurch, schwarze, ärmliche, unansehnliche Reihen von Bauernhäusern, die von dem Regen noch schwärzer und ärmlicher auszusehen schienen. Mitja dachte an den »goldlockigen Phöbus«, bei dessem ersten Strahl er sich hatte erschießen wollen. ›Vielleicht wäre es an einem solchen Morgen noch besser gegangen‹, dachte er lächelnd; dann warf er mit einer Handbewegung gleichsam diese Gedanken von sich und kehrte zu den »Folterknechten« zurück.
»Meine Herren!« rief er. »Ich sehe ja ein, daß ich verloren bin. Aber sie? Ich flehe Sie an, sagen Sie mir, ob wirklich auch sie mit mir zugrunde gehen soll! Sie ist unschuldig! Sie war nicht bei Sinnen, als sie gestern schrie, sie sei an allem schuld. An nichts ist sie schuld, an nichts! Die ganze Nacht, während ich hier mit Ihnen saß, habe ich mir darüber Sorgen gemacht. Dürfen Sie mir nicht sagen, können Sie mir nicht sagen, was Sie jetzt mit ihr machen werden?«
»Sie können in dieser Hinsicht ganz beruhigt sein, Dmitri Fjodorowitsch«, antwortete der Staatsanwalt mit sichtlicher Eilfertigkeit. »Wir haben vorläufig keinerlei Veranlassung, die Person, für die Sie sich so interessieren, irgendwie zu beunruhigen. Und das wird im weiteren Verlauf des Prozesses auch so bleiben, hoffe ich. Wir tun in dieser Hinsicht alles, was von unserer Seite nur irgend möglich ist. Seien Sie ganz beruhigt!«
»Meine Herren, ich danke Ihnen! Ich wußte ja, daß
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