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Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
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selber der beste in Latein!« rief einer aus der Gruppe.
    »Ja, Papa, das sagt er so. Aber er ist in seiner Klasse der beste in Latein«, fiel auch Iljuscha ein.
    »Was hat das damit zu tun?« erwiderte Kolja, der es für nötig hielt, sich zu verteidigen, obgleich ihm auch dieses Lob sehr angenehm war. »Ich ochse Latein, weil es notwendig ist und weil ich meiner Mutter versprochen habe, das Gymnasium zu absolvieren, und meiner Ansicht nach muß man das, was man sich einmal vorgenommen hat, auch gut machen. Aber im Grunde meines Herzens verachte ich das klassische Altertum und diese ganze Gemeinheit ... Sie sind nicht meiner Meinung, Karamasow?«
    »Nun, warum soll das eine Gemeinheit sein?« fragte Aljoscha und lächelte wieder.
    »Ich bitte Sie, die Klassiker sind sämtlich in alle Sprachen übersetzt, also brauchten die Regierenden das Latein gar nicht zum Studium der Klassiker, sondern einzig und allein als Polizeimaßregel und zur Abstumpfung der Fähigkeiten. Unter diesen Umständen verdient es doch wohl eindeutig den Namen ›Gemeinheit‹?«
    »Wer hat Sie das alles bloß gelehrt?« rief Aljoscha erstaunt.
    »Erstens bin ich selbst imstande, das zu begreifen, ohne daß es mich jemand lehrt, und zweitens hat das, was ich eben über die übersetzten Klassiker sagte, der Lehrer Kolbasnikow selber laut vor der ganzen Klasse gesagt ...«
    »Der Doktor ist gekommen!« rief auf einmal Ninotschka, welche die ganze Zeit geschwiegen hatte.
    In der Tat war Frau Chochlakowas Equipage vorgefahren. Der Stabskapitän, der den ganzen Vormittag auf den Doktor gewartet hatte, lief Hals über Kopf zum Tor, um ihn zu empfangen. »Mamachen« machte sich zurecht und nahm eine würdevolle Miene an. Aljoscha trat zu Iljuscha und brachte ihm sein Kopfkissen in Ordnung. Ninotschka verfolgte es
    von ihrem Lehnstuhl aus mit unruhigem Blick. Die Jungen verabschiedeten sich eilig; einige von ihnen versprachen, am Abend wiederzukommen. Kolja rief Pereswon, und der sprang vom Bett herunter.
    »Ich gehe nicht weg«, sagte Kolja hastig zu Iljuscha. »Ich werde auf dem Flur warten und wieder hereinkommen, sobald der Doktor weg ist. Ich werde auch Pereswon wieder mitbringen.«
    Aber schon trat der Arzt ein – eine würdevolle Gestalt in einem Bärenpelz, mit langem, dunklem Backenbart und glänzend ausrasiertem Kinn. Als er über die Schwelle getreten war, blieb er auf einmal verdutzt stehen. »Was ist das? Wo bin ich?« murmelte er, ohne den Bärenpelz von den Schultern zu werfen und ohne die Schirmmütze aus Seehundsfell vom Kopf zu nehmen. Die vielen Menschen, die Ärmlichkeit der Stube, die an einem Strick aufgehängte Wäsche verblüfften ihn. Der Stabskapitän konnte sich an tiefen Verbeugungen vor ihm gar nicht genugtun.
    »Sie sind gekommen«, murmelte er in knechtischer Untertänigkeit. »Sie sind zu mir gekommen, Sie haben die Güte, zu mir ...«
    »Herr Sne-gi-riow?« fragte der Doktor würdevoll. »Sind Sie das?«
    »Ich bin es.«
    »Ah!«
    Der Doktor blickte sich noch einmal geringschätzig im Zimmer um und warf den Pelz ab. Allen blitzte der hohe Orden entgegen, den er um den Hals trug. Der Stabskapitän fing den Pelz im Fallen auf, und der Doktor nahm die Mütze ab. »Wo ist denn der Patient?« fragte er laut und energisch.
     

6. 
Frühreife

    »Was meinen Sie, was wird der Doktor ihm sagen?« fragte Kolja hastig Aljoscha, als sie auf dem Flur waren. »Was hat der Mensch aber auch für eine widerwärtige Fratze, nicht wahr? Ich kann die Medizin nicht leiden!«
    »Iljuscha wird sterben. Das ist, glaube ich, bereits sicher«, antwortete Aljoscha traurig.
    »Diese Gauner! Die Medizin ist eine Gaunerei! Ich freue mich aber, daß ich Sie kennengelernt habe, Karamasow. Ich habe schon längst gewünscht, Sie kennenzulernen. Schade nur, daß wir uns bei so einem traurigen Anlaß begegnet sind ...«
    Kolja hätte gern noch etwas Wärmeres, Herzlicheres gesagt, doch es war, als ob ihm ein Krampf die Zunge lähmte. Aljoscha bemerkte das, lächelte und drückte ihm die Hand.
    »Ich habe Sie schon lange als eine seltene Persönlichkeit schätzengelernt«, murmelte Kolja wieder verlegen. »Ich habe gehört, Sie sind Mystiker und waren im Kloster, aber dadurch habe ich mich nicht abhalten lassen. Die Berührung mit dem wirklichen Leben wird Sie kurieren ... Bei Naturen wie Sie kann das nicht anders sein.«
    »Was meinen Sie mit dem Ausdruck ›Mystiker‹? Und wovon soll ich kuriert werden?« fragte Aljoscha einigermaßen

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