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Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
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rief Iljuscha, drückte sie wieder beide an sich und verbarg das Gesicht an der Schulter seines Vaters. »Papa, weine nicht ... Und wenn ich gestorben bin, nimm dir einen guten Jungen, einen anderen ... Such dir selbst einen aus, nenn ihn Iljuscha und hab ihn an meiner Statt lieb ...«
    »Sei still, Alter! Du wirst wieder gesund!« rief Krassotkin und tat, als ob er böse würde.
    »Aber du darfst mich nicht vergessen, Papa, niemals!« fuhr Iljuscha fort. »Komm an mein Grab! Weißt du was, Papa? Begrabt mich an unserem großen Stein, zu dem wir beide so oft spazierengegangen sind, und komm dann mit Krassotkin zu mir, am Abend ... Auch mit Pereswon ... Ich werde euch erwarten ... Papa, Papa!«
    Die Stimme versagte ihm; alle drei hielten sich umarmt und schwiegen. Auch Ninotschka weinte still in ihrem Lehnstuhl, und auch die Mama brach plötzlich in Tränen aus, als sie alle weinen sah.
    »Iljuschetschka Iljuschetschka!« rief sie.
    Krassotkin machte sich auf einmal aus Iljuschas Armen los.
    »Lebe wohl, Alter! Meine Mutter erwartet mich zum Mittagessen«, sagte er hastig. »Schade, daß ich sie nicht vorher benachrichtigt habe! Sie wird sich sehr beunruhigen ... Aber nach dem Mittagessen komme ich gleich wieder zu dir, den ganzen Tag! Ich werde dir so viel erzählen! Auch Pereswon werde ich mitbringen, aber jetzt muß ich ihn mitnehmen, denn er würde in meiner Abwesenheit zu heulen anfangen und dich stören! Auf Wiedersehen!«
    Er lief auf den Flur hinaus. Er hatte nicht weinen wollen, aber auf dem Flur brach er doch in Tränen aus. In diesem Zustand fand ihn Aljoscha.
    »Kolja, Sie müssen unbedingt Wort halten und wiederkommen, sonst wird er furchtbar traurig sein«, sagte Aljoscha eindringlich.
    »Unbedingt! Oh, wie ich mich selbst verfluche, daß ich nicht früher gekommen bin!« murmelte Kolja, ohne sich seiner Tränen zu schämen.
    In diesem Augenblick kam der Stabskapitän aus dem Zimmer gestürzt und machte die Tür hinter sich zu. Sein Gesicht war verzerrt, die Lippen zuckten. Er blieb vor den beiden stehen und warf die Arme in die Höhe. »Ich will keinen anderen guten Jungen!« flüsterte er gepreßt. »Vergesse ich dein, Jerusalem, so werde ...«
    Er sprach nicht zu Ende und sank kraftlos vor einer hölzernen Bank auf die Knie. Mit beiden Fäusten seinen Kopf pressend, begann er zu schluchzen und absonderlich zu kreischen, versuchte sich jedoch mit aller Gewalt zu beherrschen, damit sein Kreischen in der Stube nicht zu hören war. Kolja lief auf die Straße hinaus.
    »Leben Sie wohl, Karamasow! Kommen Sie auch wieder?« rief er Aljoscha in scharfem Ton zu.
    »Am Abend bin ich unter allen Umständen wieder hier.«
    »Was hat er da von Jerusalem gesagt? Was bedeutet das?«
    »Das ist aus der Bibel. ›Vergesse ich dein, Jerusalem‹ – das bedeutet: Wenn ich vergesse, was mir das Allerteuerste ist, es für etwas anderes hingebe, dann soll mich der Blitz treffen.«
    »Ich verstehe ... Daß Sie aber auch wiederkommen! Ici, Pereswon!« schrie er dem Hund beinahe wütend zu und ging mit großen, schnellen Schritten nach Hause.
     

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Elftes Buch
     
    Der Bruder Iwan Fjodorowitsch
     

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1.
Bei Gruschenka
     
    Aljoscha machte sich auf den Weg nach dem Kirchplatz, zum Haus der Kaufmannswitwe Morosowa, zu Gruschenka. Sie hatte Fenja am Morgen mit der dringenden Bitte zu ihm geschickt, er möchte doch bei ihr vorbeikommen. Aljoscha hatte von Fenja erfahren, daß das gnädige Fräulein schon seit dem vorigen Tag besonders erregt war.
    In den zwei Monaten seit Mitjas Festnahme war Aljoscha häufig bei ihr gewesen, und zwar aus eigenem Antrieb wie auch in Mitjas Auftrag. Drei Tage nach Mitjas Verhaftung war Gruschenka heftig erkrankt und hatte fast fünf Wochen lang krank gelegen, davon eine Woche ohne Bewußtsein. Sie hatte sich im Gesicht stark verändert, war mager und gelb geworden, doch konnte sie schon seit zwei Wochen wieder ausgehen. Nach Aljoschas Ansicht war ihr Gesicht noch anziehender geworden als vorher, und wenn er zu ihr kam, machte es ihm Freude, ihrem Blick zu begegnen. Es schien, als habe ihr Blick an Festigkeit gewonnen und etwas Durchgeistigtes bekommen; in ihm äußerte sich ein seelischer Wandel zu demütiger Freundlichkeit und zugleich unerschütterlicher Entschlossenheit. Zwischen ihren Brauen hatte sich eine kleine, senkrechte Falte gebildet, die ihrem lieben Gesicht den Ausdruck in sich gekehrter, auf den ersten Blick sogar etwas mürrischer Nachdenklichkeit verlieh. Von der früheren

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