Die Brueder Karamasow
stellte sich heraus, daß der andere es schon selbst getan hatte!
»Was habe ich denn zu fürchten? Sollen sie doch die ganze reine Wahrheit aufschreiben!« sagte Smerdjakow entschieden.
»Und du hast ihnen unser Gespräch am Tor erzählt, ohne etwas wegzulassen?«
»Nein, ganz ohne Auslassungen nicht.«
»Daß du einen epileptischen Anfall simulieren kannst, wie du dich damals mir gegenüber rühmtest, hast du das auch gesagt?«
»Nein, das habe ich nicht gesagt.«
»Sag mir jetzt, warum hast du mir damals zugeredet, nach Tschermaschnja zu fahren?«
»Ich fürchtete, Sie würden nach Moskau fahren. Tschermaschnja war immerhin näher.«
»Du lügst! Du selbst hast mich aufgefordert wegzufahren! Du hast gesagt: ›Fahren Sie weg! Weg von der Sünde!‹«
»Das habe ich damals einzig und allein aus Freundschaft für Sie und aus herzlicher Ergebenheit getan, weil ich ein Unglück im Haus ahnte und Sie mir leid taten. Nur tat ich mir selber noch mehr leid. Darum sagte ich: ›Fahren Sie weg von der Sünde!‹ Denn Sie sollten verstehen, daß zu Hause Unheil drohte, und dableiben, um den Vater zu beschützen.«
»Da hättest du deutlicher sprechen sollen, du Dummkopf!« rief Iwan Fjodorowitsch mit plötzlicher Heftigkeit.
»Wie hätte ich denn damals deutlicher sprechen können? Aus mir sprach ja nur die Angst, und Sie hätten auch wütend werden können. Ich konnte zwar befürchten, daß Dmitri Fjodorowitsch etwas Böses verüben und das Geld stehlen würde, da er es als sein Eigentum betrachtete – aber wer konnte wissen, daß die Sache mit einem Mord endet? Ich dachte, er würde einfach die dreitausend Rubel entwenden, die der Herr in einem Kuvert unter der Matratze liegen hatte, und nun hat er ihn totgeschlagen! Auch Sie hätten das nicht ahnen können, gnädiger Herr!«
»Wenn du also selbst sagst, daß es unmöglich war, das zu ahnen, wie konnte ich es dann ahnen und deswegen hierbleiben? Was redest du für konfuses Zeug?« sagte Iwan Fjodorowitsch nach einigem Nachdenken.
»Sie hätten es schon daraus schließen können, daß ich Ihnen riet, nicht nach Moskau, sondern nur nach Tschermaschnja zu fahren.«
»Wie kann man daraus etwas schließen!«
Smerdjakow schien sehr ermüdet zu sein und schwieg wieder lange.
»Das war aber doch wohl möglich. Wenn ich Sie veranlassen wollte, statt nach Moskau nach Tschermaschnja zu reisen, so war daraus zu ersehen, welchen Wert ich auf Ihre nähere Anwesenheit legte, weil Moskau fern ist und zu erwarten war, daß Dmitri Fjodorowitsch nicht so dreist sein wird, wenn er Sie in der Nähe weiß. Und auch zu meinem eigenen Schutz konnten Sie notfalls schneller dasein, denn ich selbst habe Sie zu diesem Zweck auf Grigori Wassiljewitschs Krankheit hingewiesen und von meiner Angst vor einem epileptischen Anfall gesprochen. Und wenn ich Ihnen von diesen Klopfsignalen erzählt habe, durch die man sich zu dem Verstorbenen Einlaß verschaffen konnte und die Ihr Bruder Dmitri Fjodorowitsch sämtlich von mir erfahren hatte, so habe ich mir gedacht, Sie würden schon selbst auf den Gedanken kommen, daß er sicherlich etwas vorhatte, und würden nicht einmal nach Tschermaschnja fahren, sondern ganz hierbleiben.«
›Er redet durchaus logisch, obwohl er stammelt!‹ dachte Iwan Fjodorowitsch. ›Wie kann Herzenstube da von einer Zerrüttung der geistigen Fähigkeiten sprechen?‹ »Du willst mich überlisten, hol‹ dich der Teufel!« schrie er dann wütend.
»Offen gestanden, ich dachte damals, Sie hätten es schon begriffen«, erwiderte Smerdjakow mit der harmlosesten Miene.
»Wenn ich es begriffen hätte, wäre ich doch hiergeblieben!« rief Iwan Fjodorowitsch, von neuem auffahrend.
»Na, ich glaubte, Sie hätten es begriffen und reisten so schnell wie möglich ab, um von der Sünde wegzukommen. Um nur irgendwohin zu fliehen und sich vor der Angst zu retten.«
»Du dachtest wohl, alle Menschen wären solche Feiglinge wie du?«
»Verzeihen Sie, ich dachte, Sie wären genauso wie ich.«
»Allerdings hätte ich es ahnen müssen«, sagte Iwan erregt! »Und ich vermutete auch, daß irgendeine Schweinerei von deiner Seite dahintersteckte ... Aber du lügst, du lügst wieder!« rief er, weil ihm plötzlich etwas einfiel! »Erinnerst du dich, daß du damals an meinen Reisewagen tratest und zu mir sagtest: ›Auch ein kurzes Gespräch mit einem klugen Menschen ist von Vorteil‹? Also hast du dich doch darüber gefreut, daß ich wegfuhr.«
Smerdjakow seufzte einmal und noch
Weitere Kostenlose Bücher