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Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
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selbst in Haft war und ihn nicht mehr strafen konnte. ›Er hegte ständig Mißtrauen gegen mich und da habe ich ihm aus Angst schleunigst das Geheimnis mitgeteilt, damit er daraus meine Schuldlosigkeit ihm gegenüber ersah und mich am Leben ließ.‹ Das sind seine eigenen Worte, ich habe sie aufgeschrieben und im Gedächtnis behalten. ›Wenn er mich manchmal so anschrie, fiel ich gleich vor ihm auf die Knie.‹ Da er von Natur ein grundehrlicher junger Mensch war und dadurch das Vertrauen seines Herrn gewonnen hatte – zum Beispiel hatte er ihm einmal Geld zurückgegeben, das ihm verlorengegangen war –, quälte den unglücklichen Smerdjakow, wie man sich leicht denken kann, die Reue über den Verrat an seinem Herrn, den er als seinen Wohltäter liebte. Menschen, die an starker Epilepsie leiden, neigen nach dem Urteil der bedeutendsten Psychiater stets zu natürlich krankhaften Selbstbeschuldigungen. Sie quälen sich mit ihrer ›Schuld‹ an irgend etwas und irgend jemandem gegenüber; sie quälen sich mit Gewissensbissen, oft sogar ohne jeden Grund; sie übertreiben und bilden sich sogar allerlei Verbrechen ein, die sie begangen zu haben glauben. Und nun, infolge der Einschüchterungen, wird ein solches Subjekt aus Furcht tatsächlich schuldig. Außerdem hatte er eine starke Vorahnung, daß sich aus den Umständen, die er vor Augen hatte, etwas Schlimmes ergeben könnte. Als Fjodor Pawlowitschs zweiter Sohn Iwan Fjodorowitsch unmittelbar vor der Katastrophe nach Moskau fuhr, flehte ihn Smerdjakow an zu bleiben, wagte jedoch in seiner Feigheit nicht, alle seine Befürchtungen klar und bestimmt auszusprechen. Er begnügte sich mit Andeutungen, diese wurden jedoch nicht verstanden. Es muß berücksichtigt werden, daß er in Iwan Fjodorowitsch gewissermaßen seinen Schutz sah, gewissermaßen eine Bürgschaft dafür, daß sich kein Unglück ereignen würde, solange dieser im Haus war. Erinnern Sie sich an eine Wendung in dem Brief Dmitri Karamasows: ›Ich werde den Alten totschlagen, sobald Iwan abgereist ist.‹ Die Anwesenheit Iwan Fjodorowitschs erschien demnach allen als eine Garantie für Ruhe und Ordnung im Hause. Da reist er nun plötzlich ab – und Smerdjakow bekommt auch prompt, etwa eine Stunde nach der Abreise, seinen epileptischen Anfall. Das ist vollkommen begreiflich. Es sei hier erwähnt, daß Smerdjakow, bedrückt von seinen Befürchtungen und von einer eigenartigen Verzweiflung, in den letzten Tagen besonders stark das Gefühl hatte, daß möglicherweise ein epileptischer Anfall bevorstand, ein Gefühl, das bei ihm auch früher in Momenten moralischer Anspannung und Erschütterung aufgetreten war. Tag und Stunde dieser Anfälle vorherzuwissen ist zwar unmöglich, doch ob eine Disposition zu einem Anfall vorhanden ist, kann jeder Epileptiker an seinem Befinden spüren. So sagt die medizinische Wissenschaft. Und was geschieht? Kaum hat Iwan Fjodorowitsch das Haus verlassen, geht Smerdjakow, noch ganz unter dem Eindruck seiner, nun sagen wir, Verwaistheit und Schutzlosigkeit, im Rahmen seines Dienstes in den Keller, steigt die Treppe hinunter und denkt: ›Werde ich einen Anfall bekommen oder nicht? Und was, wenn er sich gleich einstellt?‹ Und eben infolge dieser Stimmung, infolge dieser Befürchtung, infolge dieser Fragen packt ihn wirklich der Kehlkrampf, der einem epileptischen Anfall immer vorausgeht, und er stürzt kopfüber bewußtlos auf den Boden des Kellers. Und in diesem höchst natürlichen Zufall sehen nun besonders schlaue Menschen etwas Verdächtiges, eine Art Fingerzeig, einen Hinweis darauf, daß er sich absichtlich krank gestellt hat! Und wenn er es absichtlich tat, so erhebt sich sogleich die Frage: Zu welchem Zweck? Mit welcher Absicht? Ich will nicht einmal von der medizinischen Wissenschaft reden: Die Wissenschaft lügt, könnte man sagen; die Wissenschaft irrt sich; die Ärzte können nicht die Wahrheit von der Simulation unterscheiden – nun gut, aber antworten Sie mir doch auf die eine Frage: Welchen Zweck hatte es für ihn, zu simulieren? Wollte er etwa, wenn er den Mord plante, durch den Anfall schon im voraus die Aufmerksamkeit im Hause auf sich lenken? Sehen Sie, meine Herren Geschworenen, in Fjodor Pawlowitschs Haus befanden sich in der Nacht, in der das Verbrechen stattfand, insgesamt fünf Menschen. Erstens Fjodor Pawlowitsch selbst: er hat sich nicht selbst ermordet, das ist wohl klar. Zweitens sein Diener Grigori: der ist selbst beinahe ermordet worden. Drittens

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