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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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seine schweren Sorgen; aber noch nie hatte sich sein Herz in so süßen Hoffnungen gewiegt. Man konnte ja fast mit Sicherheit sagen, daß sie diesmal unbedingt kommen mußte!
Sechstes Buch
Ein russischer Mönch
1. Der Starez Sossima und seine Besucher
    Als Aljoscha, das Herz voll Unruhe und Schmerz, die Zelle des Starez betrat, blieb er verwundert stehen. Er hatte befürchtet, den Kranken sterbend, vielleicht schon bewußtlos zu finden; statt dessen sah er ihn im Lehnstuhl sitzen, mit zwar erschöpftem, aber munterem, fröhlichem Gesicht, von Besuchern umgeben, mit denen er ein ruhiges, heiteres Gespräch führte. Übrigens war er erst eine Viertelstunde vor Aljoschas Ankunft vom Bett aufgestanden. Die Besucher hatten sich schon vorher in seiner Zelle versammelt und auf sein Erwachen gewartet, nachdem ihnen Vater Paissi fest versichert hatte, der Lehrer werde zweifellos aufstehen, um noch einmal mit denen, die seinem Herzen lieb seien, zu sprechen, wie er es selber schon am Morgen verkündet und versprochen habe. An dieses Versprechen, wie überhaupt an jedes Wort des sterbenden Starez, glaubte Vater Paissi fest; selbst wenn er ihn schon bewußtlos vorgefunden hätte – er hätte vielleicht nicht einmal dem Tod geglaubt, sondern immer noch darauf gewartet, daß der Sterbende sein Versprechen hielt, er werde noch einmal aufstehen und von ihm Abschied nehmen ... Und am Morgen hatte ihm der Starez, ehe er wieder einschlief, auf das bestimmteste verkündet: »Ich werde nicht sterben, bevor ich mich noch einmal am Gespräch mit euch, ihr Geliebten meines Herzens, erquickt, eure lieben Gesichter geschaut und euch noch einmal mein Herz ausgeschüttet habe.« Die sich zu diesem wahrscheinlich letzten Gespräch mit dem Starez versammelt hatten, waren seine vier ergebensten, langjährigen Freunde: die Priestermönche Vater Jossif und Vater Paissi, der Priestermönch Vater Michail, der Vorsteher der Einsiedelei, ein noch nicht sehr alter, ganz und gar nicht gelehrter Mann aus einfachem Stand, von festem Geist und unerschütterlichem, schlichtem Glauben. Er machte eine finstere Miene, aber sein Herz war von einer tiefen Rührung durchdrungen, die er aus einer Art von Schamgefühl zu verbergen suchte. Der vierte Besucher war ein ganz alter, einfacher Mönch aus dem ärmsten Bauernstand, Bruder Anfim; er konnte kaum lesen und schreiben und war schweigsam und still, unter den Demütigsten der Allerdemütigste, er sprach sogar nur selten mit jemand und sah aus wie einer, der durch etwas Großes, Schreckliches, für seinen Verstand Unfaßbares für das ganze Leben in Furcht versetzt worden ist. Diesen nahezu immer zitternden Menschen liebte der Starez Sossima sehr; ihm begegnete er sein Leben lang mit außerordentlicher Hochachtung, obgleich er vielleicht mit keinem seiner Bekannten weniger Worte gewechselt hatte als mit ihm – trotz ihrer mehrjährigen gemeinsamen Pilgermärsche durch das heilige Rußland: vor langer Zeit, vor ungefähr vierzig Jahren, als der Starez Sossima sein Mönchsleben in einem armen, wenig bekannten Kloster in Kostroma begonnen und bald darauf Vater Anfim auf dessen Wanderungen zum Zweck des Spendensammelns für ihr armes Klösterchen begleitet hatte.
    Alle, der Bewohner der Zelle wie seine Besucher, befanden sich in dem zweiten Zimmer des Starez, in dem dessen Bett stand, einem, wie schon gesagt ist, sehr engen Gemach, so daß alle vier – abgesehen von dem ebenfalls anwesenden Novizen Porfiri, welcher stand – nur mit Mühe um den Lehnstuhl des Starez herum auf Stühlen Platz gefunden hatten, die sie aus dem ersten Zimmer geholt hatten. Es begann schon zu dämmern, das Zimmer wurde nur von den Lämpchen und Kerzen vor den Ikonen erhellt.
    Als der Starez Aljoscha erblickte, der bei seinem Eintritt vor Verlegenheit in der Tür stehengeblieben war, lächelte er ihm erfreut zu und streckte ihm die Hand entgegen: »Willkommen, mein Stiller, willkommen, mein Lieber! Da bist du ja auch! Ich wußte es, daß du kommen würdest.«
    Aljoscha trat zu ihm, verbeugte sich bis zur Erde und weinte. Es war ihm, als sei in seinem Herzen etwas zerrissen; er war nahe daran, laut loszuschluchzen.
    »Was hast du denn? Warte noch mit dem Weinen!« sagte der Starez lächelnd und legte ihm die rechte Hand auf den Kopf, »Du siehst, ich sitze und führe ein Gespräch, vielleicht werde ich noch zwanzig Jahre leben, wie es mir gestern die gute, liebe Frau aus Wyschegorje wünschte, welche die kleine Lisaweta auf dem Arm hatte ...

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