Die Brüder Karamasow
ähnlich ist, sondern nur einigermaßen, mir doch in geistiger Hinsicht eine solche Ähnlichkeit mit ihm zu haben schien, daß ich ihn oftmals geradezu für meinen Bruder gehalten habe, der am Ende meines Weges auf geheimnisvolle Weise zu mir gekommen ist, um mich an etwas zu erinnern und über etwas zu belehren. Hörst du das, Porfiri?« wandte er sich an den Novizen. »Oftmals habe ich auf deinem Gesicht eine gewisse Betrübnis darüber gesehen, daß ich Alexej mehr liebte als dich. Jetzt weißt du, woher das kam. Aber ich liebe auch dich, das sollst du wissen! Und es hat mich oft bekümmert, daß du betrübt warst. Euch aber, meine lieben Freunde, will ich jetzt etwas von diesem meinem Bruder erzählen, denn es hat in meinem Leben keine wertvollere, prophetischere, rührendere Erscheinung gegeben als diese. Mein Herz ist gerührt, und ich blicke in diesem Augenblick auf mein Leben, als ob ich es von neuem ganz durchlebte ...«
Hier muß ich bemerken, daß dieses Gespräch des Starez mit denen, die ihn am letzten Tag seines Lebens besuchten, teilweise in einer Aufzeichnung erhalten ist. Aufgezeichnet hat es Alexej Fjodorowitsch Karamasow zur Erinnerung an den Starez, einige Zeit nach seinem Tode. Ich bin jedoch nicht mehr imstande zu entscheiden, ob diese Aufzeichnung in ihrem ganzen Umfang nur das damalige Gespräch wiedergibt oder ob aus früheren Gesprächen mit seinem Lehrer etwas hinzugefügt ist. Ferner erscheint die ganze Rede des Starez in dieser Niederschrift zusammenhängend, ununterbrochen, als habe er, an seine Freunde gewandt, sein ganzes Leben in Form einer Erzählung vorgetragen, während es doch, das ist nach späteren Berichten nicht zu bezweifeln, in Wirklichkeit etwas anders zugegangen war. Es hatte nämlich an jenem Abend ein allgemeines Gespräch stattgefunden, und obgleich die Besucher den Starez nur selten unterbrachen, redeten sie doch auch von sich aus und beteiligten sich an dem Gespräch, teilten von sich aus dies und jenes mit und erzählten etwas. Außerdem war eine ununterbrochene Rede von seiten des Starez schon deshalb unmöglich, weil er manchmal keine Luft bekam und sich mitunter aufs Bett legen mußte, um sich zu erholen, wenn er auch nicht einschlief und die Besucher ihre Plätze nicht verließen. Ein- oder zweimal wurde das Gespräch durch Lesungen aus dem Evangelium unterbrochen; der Vorleser war Vater Paissi. Bemerkenswert ist auch noch, daß keiner von ihnen annahm, der Starez würde noch in dieser Nacht sterben, zumal er an diesem letzten Abend seines Lebens durch einen tiefen Schlaf tagsüber offenbar neue Kraft gewonnen hatte, die ihn während des ganzen langen Gesprächs mit den Freunden aufrecht hielt. Eine letzte Rührung schien ihn auf unerwartete Weise zu beleben, allerdings nur für kurze Zeit – denn sein Leben ging dann plötzlich zu Ende. Aber davon später. Jetzt will ich nur mitteilen, daß ich mich, statt alle Einzelheiten des Gesprächs anzuführen, auf die Erzählung des Starez nach den handschriftlichen Aufzeichnungen Alexej Fjodorowitsch Karamasows beschränken werde. Das wird kürzer sein und nicht so ermüdend, obwohl Aljoscha, ich wiederhole es, vieles früheren Gesprächen entnommen und hier eingefügt hat.
2. Aus dem Leben des in Gott entschlafenen Priestermönchs und Starez Sossima, nach seinen eigenen Worten zusammengestellt von Alexej Fjodorowitsch Karamasow
a) Biographische Mitteilungen über die Jugendjahre des Bruders des Starez Sossima
Geliebte Väter und Lehrer! Geboren wurde ich in einem fernen nördlichen Gouvernement, in der Stadt W. Mein Vater war zwar ein Adliger, doch weder ein vornehmer Mann noch ein einflußreicher Beamter. Er starb, als ich erst zwei Jahre alt war, und ich habe gar keine Erinnerung an ihn. Er hinterließ meiner Mutter ein kleines Holzhaus und etwas Vermögen, nicht groß, aber so weit ausreichend, daß sie mit ihren Kindern davon leben konnte, ohne Not zu leiden. Kinder waren wir zwei: ich, Sinowi, und mein großer Bruder Markel. Er war acht Jahre älter als ich, von hitzigem, reizbarem Temperament, aber seelengut, nicht spottlustig und von einer seltsamen Schweigsamkeit, besonders zu Hause, mir, der Mutter und den Dienstboten gegenüber. Auf dem Gymnasium lernte er gut, doch mit seinen Mitschülern verstand er sich nicht, obwohl er mit ihnen nicht zerstritten war; so berichtete es zumindest später die Mutter. Ein halbes Jahr vor seinem Tode, als er schon siebzehn Jahre alt war, kam er in engen Kontakt mit einem
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