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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Gedenke, Herr, der Mutter und ihres Töchterchens Lisaweta! Porfiri, hast du ihre Spende dahin gebracht, wohin ich dir sagte?«
    Es waren ihm die sechzig Kopeken eingefallen, die eine fröhliche Verehrerin gestern »für eine Frau, die ärmer ist als ich«, gespendet hatte. Solche Spenden sind eine Art Kirchenbuße, die sich jemand aus irgendeinem Grund freiwillig auferlegt, und müssen unbedingt aus Geld bestehen, das man sich durch eigene Arbeit erworben hat. Der Starez hatte Porfiri noch am Abend zu einer Kleinbürgerin unserer Stadt geschickt, einer Witwe mit Kindern, deren Haus kürzlich abgebrannt war und die nun betteln ging. Porfiri beeilte sich zu berichten, der Auftrag seit schon ausgeführt, er habe das Geld befehlsgemäß als »Spende einer unbekannten Wohltäterin« abgeliefert.
    »Steh auf, mein Lieber!« fuhr der Starez, an Aljoscha gewandt, fort, »Laß mich dich ansehen! Bist du bei den Deinen gewesen, hast du deinen Bruder gesehen?«
    Es kam Aljoscha sonderbar vor, daß er so bestimmt nur nach einem der Brüder fragte – aber nach welchem? Hatte er ihn vielleicht gerade um dieses Bruders willen gestern und heute fortgeschickt?
    »Einen meiner Brüder habe ich gesehen«, antwortete Aljoscha.
    »Ich meine den von gestern, den ältesten. Den, vor dem ich mich verneigte.«
    »Den habe ich nur gestern gesehen. Heute habe ich ihn trotz alter Mühe nicht finden können«, sagte Aljoscha.
    »Beeile dich, ihn zu finden. Geh morgen wieder hin und beeile dich. Laß alles stehen und liegen und beeile dich! Vielleicht gelingt es dir noch, etwas Schreckliches abzuwenden. Ich habe mich gestern vor seinem großen künftigen Leiden verneigt.«
    Er verstummte plötzlich und schien in Gedanken zu versinken. Seine Worte klangen seltsam. Vater Jossif, der am Vortag Zeuge der tiefen Verbeugung des Starez gewesen war, wechselte mit Vater Paissi einen Blick.
    Aljoscha konnte eine Frage nicht zurückdrängen, »Vater und Lehrer!« sagte er in großer Erregung. »Ihre Worte sind sehr dunkel ... Was für ein Leiden erwartet ihn?«
    »Verlange nicht zuviel zu wissen! Es zeigte sich mir gestern etwas Furchtbares. Sein Blick schien mir sein ganzes Schicksal zu offenbaren. Er hatte einen Blick, daß ich in meinem Herzen erschrak über das, was dieser Mensch für sich selbst vorbereitet. Nur ein- oder zweimal in meinem Leben habe ich Menschen mit einem solchen Gesichtsausdruck gesehen, der gleichsam ihr ganzes Schicksal zum Ausdruck brachte. Und ach, ihr Schicksal ist in Erfüllung gegangen. Ich sandte dich zu ihm, Alexej; denn ich dachte, der Anblick deines brüderlichen Antlitzes könnte ihm helfen. Aber alles kommt vom Herrn, auch unser Schicksal. ›Wenn das Weizenkorn, in die Erde gefallen, nicht erstirbt, so bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, so bringt es viel Frucht.‹ Denke daran! Dich, Alexej, habe ich in meinem Leben vielmals in Gedanken gesegnet wegen deines Antlitzes, das sollst du wissen«, sagte der Starez mit stillem Lächeln. »Ich denke über dich so: Du wirst diese Mauern verlassen, doch in der Welt wie ein Mönch leben. Du wirst viele Widersacher haben, aber auch deine Feinde werden dich lieben. Das Leben wird dir viel Unglück bringen, doch gerade durch das Unglück wirst du glücklich sein und das Leben segnen und andere veranlassen, es zu segnen – was das Allerwichtigste ist. Siehst du, so ein Mensch bist du ... Ihr meine Väter und Lehrer!« wandte er sich, ergriffen lächelnd, an seine Besucher. »Niemals bis auf diesen Tag habe ich gesagt, auch ihm selbst nicht, weshalb das Antlitz dieses Jünglings meiner Seele so lieb war. Jetzt will ich es sagen. Sein Antlitz war mir wie eine Erinnerung und wie eine Prophezeiung. Am Morgen meiner Tage, als ich noch ein Kind war, hatte ich einen älteren Bruder, der als Jüngling, nur siebzehn Jahre alt, vor meinen Augen starb. Und später, im weiteren Verlauf meines Lebens, gelangte ich Schritt für Schritt zu der Überzeugung, daß dieser mein Bruder in meinem Schicksal gewissermaßen ein Fingerzeig und eine Vorherbestimmung von oben war; denn wenn er nicht in mein Leben getreten wäre, hätte ich, wie ich glaube, wohl niemals den Mönchsstand gewählt und diesen herrlichen Weg eingeschlagen. Diese Erscheinung fiel noch in meine Kindheit – und siehe, jetzt, da mein Weg sich zum Ende neigt, hat sie sich vor meinen Augen gleichsam wiederholt. Es ist wunderbar, ihr meine Väter und Lehrer, daß Alexej, obgleich er meinem Bruder von Gesicht nicht besonders

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