Die Brueder
Froschesser-Kunst baldmöglichst wieder dorthin verfrachtet werden, wo sie hingehöre, nämlich in das degenerierte Frankreich.
Der Höhepunkt der Kampagne war erreicht, als es der Londoner Presse zu allem, was über den Skandal in den Grafton Galleries bereits gesagt worden war, noch gelang, Gauguin mit dem vollkommen aus dem Ruder gelaufenen und an Landesverrat grenzenden Kampf um die Rechte der Frauen in Verbindung zu bringen. An dem Tag, der als Schwarzer Freitag in die Geschichte einging, gelang es den Suffragetten, mit der fatalen Emmeline Pankhurst an der Spitze noch größeres Unglück anzurichten.
Pankhurst führte eine Demonstration mit dem harten Kern ihrer Bewegung, etwa dreihundert wütenden Frauen, zum House of Parliament an, in das sie Steine werfend einzudringen suchten. Anfänglich hielt die Polizei die nicht allzu bedrohlichen Demonstrantinnen nur in Schach, aber dann gab der neue konservative Innenminister Winston Churchill den Befehl durchzugreifen. Begeistert rissen Polizisten die Kleider der Frauen in Fetzen, misshandelten sie mit Schlagstöcken und Peitschen und schleppten sie halb nackt zu den mit Pferden bespannten Gefangenenwagen, um sie wegzuschaffen.
Die Wut der Presse richtete sich natürlich gegen Pankhurst und ihre Hooligans, die auf unanständigste Weise die ehrbare Londoner Polizei dazu gezwungen hatten, in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei den Hooligans um Frauen handelte, zu ungewöhnlich harschen Methoden zu greifen. Die Schuld an dieser Geschmacklosigkeit traf die Suffragetten natürlich selbst. Dagegen war vielleicht gar nicht so viel einzuwenden, zumindest nicht aus einer künstlerischen Perspektive.
Mehrere Zeitungen ereiferten sich, einen Zusammenhang zwischen den Suffragetten-Hooligans und Manet, van Gogh und Cézanne herzustellen. Die Logik war bedeutend schwächer als die allgemeine Entrüstung. Offenbar bestand ein Zusammenhang zwischen perverser Kunst und Hooliganismus. Die totale Verachtung von Anständigkeit und Kultur musste als die große Bedrohung Europas betrachtet werden. Dazu kam noch die Gefahr einer deutschen Invasion Englands.
In Bloomsbury fielen die Reaktionen auf diese Kanonade von Verurteilungen höchst unterschiedlich aus. Roger Fry war am Boden zerstört, sein Ruf als Rezensent und Kunstkritiker war hin. Jetzt würde er keinesfalls mehr die angestrebte Professur in Oxford bekommen.
Albie und Sverre störte am stärksten die immer häufiger vorgebrachte Behauptung, dass eine Besetzung Englands durch Deutschland drohe. In den Zeitungen erschienen Karikaturen, Monster mit Pickelhauben, grauen Uniformmänteln und riesigen Bierbäuchen. So wurden die Deutschen, die mit aufgerissenen Mäulern und Fangzähnen die ganze Welt zu verschlingen drohten, schon seit geraumer Zeit mit Vorliebe dargestellt.
Diese Bedrohung war ebenso unbegreiflich wie die Behauptung, van Gogh und Cézanne würden die Ordnung Europas gefährden. Das alles war ein albtraumhafter Irrsinn. Irrsinn deswegen, weil keine deutsche Bedrohung Englands existierte, und albtraumhaft, weil die Londoner Presse diese Behauptung ständig und als allgemein akzeptiert wiederholte.
Margie, Vanessa und Virginia lehnten sich, zumindest anfänglich, auf. Bis ihnen diese verdammte Emmeline Pankhurst in die Quere kam. Aber als Provokation innerhalb der starren und fantasielosen englischen Kunstwelt hatte die Ausstellung ausgezeichnet funktioniert. Was hatten die Herren eigentlich erwartet? Ein Lob der Times, bei der das Kunstverständnis kaum das Niveau der Fünfjährigen erreichte, auf dem sich Cézanne angeblich befand? Der aggressive Antagonismus konnte also als haushoher Sieg aufgefasst werden.
Die Männer ließen sich nicht von dem weiblichen Heroismus überzeugen. Einige murrten außerdem, dass die Frauen des Freundeskreises die Sache nicht besser gemacht hätten, als sie aus Verehrung für Gauguin mit entblößtem Oberkörper bei einem Fest in Chelsea erschienen seien. Einige Gäste seien ohnmächtig geworden, andere hatten das Fest erzürnt verlassen, und der Londoner Presse hatte sich eine neue Gelegenheit geboten, sich darüber auszulassen, dass die französische Perversion und Kunstsabotage ein weiteres Mal ihr Gift in der Stadt verbreite.
Beim Streit innerhalb des Freundeskreises gab es ungewöhnlicherweise eine männliche und eine weibliche Fraktion. Etwas versöhnlicher gestimmt wurden die Frauen trotz ihrer Prinzipien, als der Telegraph in einem großen Artikel Roger Fry
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