Die Brueder
verstehe ich die Kunst viel konkreter, und es entsteht kein Durcheinander aus Gefühlen und Sinneseindrücken. Ich überlasse es also dir, und zwar mit vollem Vertrauen. Du suchst die passende Frisur aus!«
III – Eisblau oder leuchtend rot
Manningham House, Oktober 1901
Die Reise nach London gestaltete sich für Sverre anfänglich als recht anstrengende Angelegenheit. Lady Penelope war der Meinung, ihr fehle ein passendes Kleid für das Porträt, was Sverre kaum glauben konnte. Er hatte inzwischen mehrere Hundert Male mit ihr diniert, und es verstrich sicher ein ganzer Monat, ehe er eines Kleidungsstückes ansichtig wurde, das er wiedererkannte. Es wäre Sverre sicher nicht schwergefallen, eines aus der großen Vielfalt auszusuchen, das sie auf einem Porträt gut zur Geltung brachte, aber das vorzuschlagen stand ihm natürlich nicht zu.
Lady Penelope erklärte, sie sei unsicher, ob sie eisblau oder leuchtend rot wählen solle, das ließe sich erst in London entscheiden.
Eisblau war eine Farbe, die Sverre viel bedeutete. Das Blau der Gletscher, das je nach Tageszeit eine Skala von fast Weiß bis Tiefviolett aufwies. Er hatte oft versucht, diese Variationen des Lichts auf seinen Aquarellen wiederzugeben, wenn er mit seinen Brüdern auf der Hochebene gewandert war und sie sich auf dem Weg den Hardangerjökeln hinauf befunden hatten. Aber was man sich unter eisblauer Seide vorzustellen hatte, war ihm nicht klar. Noch diffuser erschien ihm die Benennung »leuchtend rot«. Und wer wusste, für welche Farbvariationen sie sich am Ende entschied. Sein Vorrat an Farbtuben würde dem ganz sicher nicht gewachsen sein. Also wäre es das Beste, Penelope nach London zu begleiten, sich den Stoff anzusehen, den sie auswählte, und sich anschließend in einem Geschäft für Künstlerbedarf mit den passenden Farben einzudecken.
Lady Elizabeth fand auch, er solle sich Penelope, Mrs. Stevens und Mr. Jones anschließen, um die passenden Farben zu kaufen, sobald Penelope ihren Stoff gewählt hatte.
Damit geriet Sverre in eine peinliche Lage. Lady Elizabeth hielt es natürlich für selbstverständlich, dass ein Gentleman Kosten von zehn Pfund oder mehr aus eigener Tasche beglich. Betrüblicherweise besaß er nicht einmal einen Halfpenny.
Als Albie nach Deutschland gefahren war, hatte er sich von Sverre eine Geldsumme geben lassen, die ihm selbst vielleicht wie Kleingeld erschienen war, bei der es sich aber um Sverres gesamtes Barvermögen gehandelt hatte, 2000 Reichsmark. Das war überaus praktisch, denn so brauchte Albie keine Bank aufzusuchen, um Bargeld für kleinere Ausgaben zu wechseln.
Damals hatte das keine Rolle gespielt, denn auf Manningham brauchte Sverre natürlich kein Bargeld.
Jetzt war die Lage anders. Er musste Farben für eine beträchtliche Summe erwerben und war blank. Er hatte einen Tag Zeit, das Geld zu beschaffen. Geld von den Dienstboten zu leihen oder, noch schlimmer, von den Gastgebern erschien ihm absolut unmöglich. Er befand sich in einem goldenen Käfig, in dem andere Regeln galten als draußen im freien Leben.
In seiner Verzweiflung wandte er sich an James, den Butler, der sich um alles kümmerte und für alles die Verantwortung trug. Nach dem Tee am nächsten Tag, also weniger als einen Tag vor der Abreise, vereinbarten sie ein diskretes Treffen in der Ingenieursvilla.
James fand sich natürlich pünktlich dort ein und machte einen Diener.
»Sie wollten mit mir sprechen, Sir.«
»Ja! Ausgezeichnet, dass Sie hier sind, James, ich benötige tatsächlich Ihre Hilfe in einer schwierigen Angelegenheit. Möchten Sie nicht Platz nehmen?«
»Vielen Dank, ich bleibe lieber stehen, Sir. Womit kann ich Ihnen dienen?«
Sie befanden sich im Herrenzimmer. Sverre saß im Hausmantel in seinem Lesesessel und rauchte eine Zigarette. Es war ein Fehler gewesen, James dazu aufzufordern, sich zu setzen. Das wäre für beide peinlich gewesen. Für einen englischen Country Gentleman hatte er noch viel zu lernen.
Wie brachte er sein Anliegen am besten vor? James wartete mit unbeweglicher Miene ab.
»Wir haben ein kleines Problem«, sagte er auf möglichst englische Art.
»Ich verstehe, Sir. Wir wollen sehen, wie es sich lösen lässt«, entgegnete James, ohne erkennen zu lassen, was er dachte.
»Wie Sie wissen, James, begleite ich Lady Penelope, Mrs. Stevens und Mr. Jones nach London, um einige Besorgungen zu erledigen.«
»Das ist mir bekannt, Sir. Der Wagen ist rechtzeitig zum frühen Zug morgen
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