Die Brueder
er, und raucht, vollkommen gelassen, als ginge ihn die fieberhafte Geschäftigkeit nichts an. Wenn alles angerichtet ist, wird er die Platten eine Treppe nach oben tragen, alles andere ist ihm gleichgültig. Ich sage nur: Unglaublich!«
»Du hast wirklich ein Auge für die Details. Auf McInnes im Hintergrund bin ich wirklich recht stolz. In gewisser Weise ist er die Pointe des ganzen Bildes«, meinte Sverre. »Was fällt dir sonst noch an ihm auf?«
»Sein Frack sitzt perfekt. Aber er ist kein Gentleman, er ist Kellner, nicht mehr und nicht weniger. Wie kommt es, dass ich das sehe?«
»Das sieht man nicht. Aus derselben Person wird im Herrenzimmer ein Gentleman. Nur die Küche macht ihn zum Kellner. Aber was hat Zola damit zu tun?«
Recht viel, zeigte sich, zumindest laut Albies langer, eingehender Auslegung. Es bestehe kein Zweifel an dem, was man sehe, begann er, während er ihre Champagnergläser ein weiteres Mal nachfüllte und die Flasche auf den Boden stellte. Es handelte sich eindeutig um keine Restaurantküche. Auf der Treppe nach oben wartete der Kellner. Zwanzig Rebhühner wurden gerade angerichtet, zehn weitere warteten im Ofen. Es handelte sich eindeutig um ein besseres Essen auf dem Land. Ein Stockwerk höher wartete die Oberklasse darauf, sich den Bauch vollzuschlagen, selbstverständlich davon ausgehend, dass gebratene Vögel einfach auf den Tisch geflogen kamen wie schon immer und in alle Zukunft.
Hier unten in der Küche hingegen befanden sich die arbeitenden Menschen, die die parasitäre Oberklasse über ihren Köpfen bald um ihre Macht bringen würden, sei es durch eine Revolution oder durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts. Das flackernde rote Licht auf den verschwitzten Gesichtern symbolisiere dies oder erinnere zumindest daran.
Sverre fand, dass Albie allzu viel Politisches in das Bild hineininterpretierte. Die abwesende Oberschicht auf dem Bild sollte die Gedanken des Betrachters stattdessen auf höchste Effektivität, Organisationstalent und berufliches Können lenken. Die Menschen auf dem Bild wurden in keinster Weise unterdrückt, sie führten eine erstklassige Arbeit aus, die nur wenige ebenso gut leisten konnten, es ging ihnen gut, sie waren fröhlich und von Berufsstolz erfüllt. In dieser Momentaufnahme hatten sie jedenfalls keine Zeit für den Klassenkampf.
»Du darfst die Aussage deines Bildes nicht herunterspielen, ihm nicht die Schärfe nehmen, weil du mir gegenüber höflich sein möchtest. Schließlich bin ich ja der Unterdrücker aus dem Obergeschoss«, wandte Albie ein. »Deswegen musste ich auch sofort an Zola denken. Das Bild zeigt eine untergehende Welt, die vielleicht bald verschwunden ist, nicht zuletzt aufgrund des technischen Fortschritts. Wie wird unsere Küche da unten in zehn Jahren aussehen?«
»Weniger Personal, Elektrizität, Maschinen, mehr Licht, keine Kohlen, einheitlichere, praktischere Kleidung, größere, freiere Arbeitsflächen, große Fenster?«, improvisierte Sverre. »Aber in diesem Fall kann nicht von einer untergehenden, sondern von einer modernisierten Welt die Rede sein.«
»All right, nicht so wichtig. Zur Hauptsache! Was ist mit deiner Malerei passiert? Entschuldige, dass ich das nicht eher aufgegriffen habe, denn das ist wirklich fantastisch, Sverri! Einen größeren Unterschied zu Saskia van Uylenburgh kann man sich nicht vorstellen.«
Unverzüglich verließen sie das ernste Thema und wandten sich lachend einer ihrer Lieblingsgeschichten über Rembrandts berühmtestes Porträt seiner Ehefrau Saskia zu.
Der Diebstahl des Gemäldes aus dem Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin hatte großen Wirbel verursacht. Daraufhin hatten sie sich einen ausgesprochen gelungenen studentischen Streich erlaubt. Das Gemälde war so berühmt, dass es genügend Vorlagen gab, nach denen gearbeitet werden konnte. Erst fertigte Sverre nach recht mühsamen Farbexperimenten eine Fälschung an. Aber das hätte nie funktioniert. Mithilfe der Chemiker von der Universität führten sie einige Versuche durch, bei denen sie Farbproben im Ofen erhitzten, nicht so sehr, um sie rascher zu trocknen, wie um die Krakelüren der Oberfläche des Gemäldes echt erscheinen zu lassen. Danach stellten sie das im Ofen behandelte Gemälde in der Aula aus und nahmen 50 Pfennig Eintritt. Bei einem Trödler hatten sie einen ausreichend alten Rahmen aufgetrieben und drapierten die Fälschung in roten Samt. Das Publikum strömte herbei, und es wurde ein sehr großer
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