Die Brueder
gelesen?«
»Natürlich. Von klein kann allerdings nicht die Rede sein.«
»Und? Was hältst du davon?«
»Viel. Vor allen Dingen, dass es historisch wichtig ist, einen Irrsinn schildert, der, wie schändlich er auch immer gewesen sein mag und wie peinlich er für England ist, trotzdem in den Geschichtsbüchern erwähnt werden muss.«
»Aber was hältst du von …?«
»Warte!«, fiel ihm Sverre ins Wort und hob die Hand. »Das ist ein weites Feld und ein Thema, das uns beiden am Herzen liegt. Wir wollen es uns für heute Abend aufheben, wenn wir wieder allein sind und nicht ständig auf die Uhr schauen müssen, während wir uns unterhalten.«
»Ein guter Vorschlag«, gab Albie zu. »Wie du schon sagtest, es gibt einiges zu besprechen. Sollten wir vielleicht über die Reaktion der Damen auf deine Gemälde eine Wette abschließen?«
Vielleicht nicht ganz überraschend gewann Albie die Wette. Es gelang ihm, die Reaktion seiner Mutter, seiner Großmutter und seiner zwei Schwestern, sogar gewisse Formulierungen bis ins kleinste Detail vorherzusagen.
Pennie und Margie waren von ihren eigenen Porträts äußerst entzückt, betrachteten aber beide das der Schwester mit gewisser Skepsis, die sie höflich zu verbergen suchten.
Der Großmutter gefiel das Porträt Pennies besser, es sei zweifellos das schönste Bild der ganzen Ausstellung, die vier Ballettstudien Degas’ und die fünf sehr bunten Gemälde des Spaniers eingerechnet.
Lady Elizabeth trug kaum etwas zur Kunstkritik bei, außer dass sie ihrer Schwiegermutter darin beipflichtete, dass das Küchenmotiv zwar sehr lebhaft, als Kunstwerk betrachtet aber vielleicht etwas zu alltäglich sei. Außerdem wies das Bild einen eindeutigen Fehler auf: die Kammerjungfern, die mit ihrer Last an Warmwasserflaschen zu den Gästezimmern gingen.
Das Hauptgericht wurde gegen neun Uhr serviert, die Wasserflaschen jedoch erst eine Stunde später auf die Zimmer gebracht.
Sverre gab zu, in diesem Punkt geschummelt zu haben. Er habe die Wasserflaschenprozedur bewusst vorverlegt, um mehr Dynamik in das Bild zu bringen.
Die Kritik der Damen war insgesamt jedoch alles andere als negativ. Wie Albie scherzend meinte, hatte Sverre seine erste Vernissage glanzvoll bestanden. Und die Stimmung wurde im Laufe des »Kunstausstellungsdinners« geradezu ausgelassen. Wie Lady Elizabeth es ebenso diplomatisch wie wahrheitsgemäß zusammenfasste, sei doch das Allerwichtigste, dass Pennie und Margie sehr angetan seien und somit alle freudig auf den Künstler anstoßen könnten.
Und so geschah es dann auch.
Albie und Sverre kehrten recht früh und ziemlich nüchtern in die Ingenieursvilla zurück. Sie zogen sich um, setzten sich ins Herrenzimmer, und Albie schenkte Whisky ein, seine Lieblingssorte aus den Highlands. Beide zündeten sich eine Zigarette an.
»Und?«, fragte Albie, nach dem genüsslichen ersten Zug.
Sverre hatte sich zurechtzulegen versucht, wie er das Gespräch beginnen sollte, was aber gar nicht so einfach war, weil es so viele Möglichkeiten gab, große Fragen, kleine Fragen, tragische Aspekte, Unklarheiten, Textpassagen, die ihn sprachlich beeindruckt hatten, Erfreuliches und Unerfreuliches.
»Es ist, wie du es gesagt hast«, begann er vorsichtig. »Jetzt kenne ich dich besser, im Guten wie im Bösen. Und genau wie du gehofft hast, überwiegend im Guten. Und das ist doch wohl das Wichtigste?«
»Inwiefern im Bösen?«, fragte Albie rasch.
»Ich bin natürlich schrecklich eifersüchtig auf Oscar Wilde. Keiner wird sich in deinen Augen je mit ihm messen können. Und da ich eifersüchtig bin, kann ich mich nicht auf mein Urteilsvermögen verlassen. Entschuldige, aber können wir das vielleicht auf Deutsch besprechen?«
»Selbstverständlich! In welcher Hinsicht kannst du dich nicht auf dein eifersüchtiges Urteilsvermögen verlassen?«
»Ich finde ihn eingebildet, größenwahnsinnig, taktlos, charakterlos, notorisch untreu, kindisch genieverehrend, insbesondere was ihn selbst betrifft, ein offensichtlich glänzender Gesellschafter ohne jeglichen Bezug zur Realität.«
»Diese Worte hast du dir im Voraus zurechtgelegt.«
»Ja, genau wie du es sonst tust. Man lernt voneinander, wenn man zusammenlebt und auf immer zusammenzubleiben gedenkt.«
»Das klingt aber jetzt dramatisch. Wie auch immer, deine Charakterisierung trifft zu. So war Oscar. Trotzdem musste man ihn lieben, das war das Rätselhafte an ihm.«
»Wenn er jetzt ins Zimmer träte, würdest du ihn dann sofort
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