Die Brueder
auf die Staffelei.
Sverre hatte sich auf grelle Farben gefasst gemacht, aber das genaue Gegenteil bot sich ihm dar, eine Komposition aus Braun, Ocker, verschiedenen Gelbtönen und Weiß, die einen Eindruck von sowohl Licht als auch Dunkel vermittelte. Das Bild zeigte eine Tänzerin im Tüllröckchen, die vornübergebeugt ihren Schuh zuband.
Sverre glaubte zu träumen.
»Ist es wirklich, was es zu sein scheint?«, fragte er.
»Ja, es ist genau das!«
»Ein Degas?«
»Derselbe, unser lieber Freund Edgar. Ich soll im Übrigen herzliche Grüße ausrichten. Und hier kommen noch weitere drei!«
Das nächste Gemälde zeigte ein ähnliches Hinter-den-Kulissen-Motiv, die beiden anderen stellten Tänzerinnen auf der Bühne bei starkem Gegenlicht dar. Offenbar hatte der Künstler bei der Arbeit hinter der Bühne gestanden.
Sverre war sprachlos. Die Bilder waren weltberühmt, zumindest die Motive. Abgesehen von der Grazie der Bewegungen der Tänzerinnen, der fantastischen Art, mit der Degas das Gegenlicht handhabte, und dem fast rohen Realismus gewisser Details, wie der Darstellung der verschlissenen Schuhe aus der Nähe, musste der Wert dieser Kunstwerke unermesslich sein.
Sverre nickte stumm. Er hatte Albie mit seinen eigenen vier Gemälden überraschen wollen, die bereits im Erdgeschoss hingen, aber die würden ihm jetzt kaum noch imponieren. Er hatte sich ihre Wiedervereinigung in derselben Abfolge vorgestellt, nur unter gegenteiligen Vorzeichen. Erst das griechische Bad, dann eine zusätzliche Lampe, um die bislang gelungensten Werke des Künstlers Sverre im Untergeschoss in Augenschein zu nehmen. Wie peinlich das jetzt war. Ausgerechnet Edgar Degas!
Als sie sich gegenseitig halfen, die Fräcke zu justieren, die Fliegen zurechtzuzupfen, Staub von den Schultern zu bürsten, die Hemdknöpfe anzubringen und Manschettenknöpfe zu wählen, erzählte Albie begeistert und auf seine unwiderstehliche, unschuldige Art, wie er in den Besitz der Bilder gelangt war.
Albie pflegte Kontakte zu einigen Malern in Paris. Bereits als Zwanzigjähriger war er erstmals mit Oscar Wilde dort gewesen. Sverre beschlich ein leises Gefühl der Eifersucht. Nun hatte es sich gezeigt, dass einer seiner Bekannten von damals ein sehr enger Freund Edgar Degas’ war. Dieser hatte zu berichten gewusst, dass der Maler, der inzwischen schlecht sah und nicht mehr so malen konnte wie früher, einige Vorstudien seiner berühmten, vor etwa zwanzig Jahren entstandenen Ballettsuite veräußern wollte. Albie hatte umgehend Kontakt zu ihm aufgenommen und ihm erzählt, wie leidenschaftlich er und sein norwegischer Freund sich für das Ballett begeisterten. Nun gebe es einen besonderen Anlass, seinem Freund ein Geschenk zu machen, und dafür eigne sich nichts auf der Welt besser als diese Ballettstudien.
Degas war offenbar sehr gerührt gewesen und hatte einen recht bescheidenen Preis gefordert, die Studien freundlicherweise signiert, dem norwegischen Freund Grüße ausrichten lassen und viel Glück gewünscht. Dann hatte er ihm noch einen jungen spanischen Maler empfohlen, der Pablo Soundso heiße und gerade seine erste Ausstellung gehabt habe, wobei die Kritiken sehr unterschiedlich ausgefallen, aber keine Käufe getätigt worden seien. Obwohl er das durchaus verdient habe. Edgar Degas jedenfalls glaube an ihn. Sicherheitshalber hatte Albie also gleich noch fünf, sechs Werke dieses Pablo gekauft, die bei der Vernissage am nächsten Tag betrachtet werden konnten.
Während des großen Dinners für zwanzig Personen zur Feier der Rückkehr Lord Albert Fitzgeralds vom Kontinent fühlte sich Sverre entspannt und glücklich. Seine Tischdame war eine »Cousine«, Lady Sybil aus Dorset. Lady Sybil wollte sich über Kunst unterhalten. Man hatte ihr ihren Tischherrn als Künstler vorgestellt, eine Bezeichnung, die Sverre mit Stolz erfüllte.
Sich mit den Gästen in Manningham über Kunst zu unterhalten war eine ausgesprochen einfache Aufgabe. Sverre kannte natürlich die Kunstwerke, über die sich solche »Cousinen« unterhalten wollten, denn es handelte sich immer um ganz berühmte Werke. So ging es stets um Themen wie die Frage, ob der Michelangelo-David in Florenz nicht einen unverhältnismäßig großen Kopf habe. Daran war weiter nichts auszusetzen. Sich für Kunst zu interessieren und etwas von Kunst zu verstehen waren grundverschiedene Dinge.
Schon das Interesse verdiente Respekt. Sverre unterhielt sich auch tausendmal lieber über Kunst, selbst wenn
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