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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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es dabei nur um Davids Kopfgröße ging, als über Kricket, ein Thema, das gerne von wohlerzogenen jungen Damen aufgegriffen wurde, die voraussetzten, dass Kricket das Ein­zige war, worüber man sich todsicher mit einem Gentleman unterhalten konnte.
    Das Dinner verlief wie gewohnt reibungslos. Man unterhielt sich angeregt, gelegentlich machte jemand eine witzige Bemerkung, aber nie kam bei Tisch etwas Unpassendes zur Sprache. Sie stießen miteinander an, es wurden kurze Tischreden gehalten, und es wurde erneut angestoßen, und Sverre und Albie, die bei größeren Einladungen in der Regel recht weit voneinander entfernt saßen, tauschten hin und wieder heimliche Zeichen aus.
    Sie betrieben diese Art der verborgenen Kommunika­tion wie einen Sport. Ein Gentleman fasste sich bei Tisch nicht an die Nase (das bedeutete »besonders unanständige Handlungen«). Ein solches Manöver musste also schnell, unbemerkt und beispielsweise kaschiert durch Betupfen des Augenwinkels mit der Serviette erfolgen, was erlaubt war. Undenkbar war es auch, bei Tisch mit dem Messer auf etwas zu deuten (das bedeutete »griechisches Bad«), und deswegen musste auch dieses Manöver blitzschnell während eines intensiven Gesprächs ausgeführt werden, sodass die Missetat nur dem Eingeweihten auffiel.
    Das Spiel machte umso mehr Vergnügen, als ihnen noch wenige Stunden zuvor der Angstschweiß wegen eines möglichen Geständnisses des anderen auf der Stirn gestanden hatte. Zu diesem Vergnügen gesellte sich, immer wieder im Bewusstsein aufblitzend, die Gewissheit, dass ihrer zu Hause in der Ingenieursvilla ein Schatz harrte: die vier Ballettstudien von Degas.
    Sverre versuchte sich vorzustellen, was sich, während sie hier oben dinierten, wohl unten im hektischen Chaos der Küche abspielte. Er sah es förmlich in Augenblicksbildern vor sich. Die Küche in dunklen, vom Feuerschein erhellten Farben vermischte sich mit den Ballettstudien in noch dunkleren Nuancen.
    Es war fast peinlich, dass sie ein Kutscher mit einem geschlossenen Wagen erwartete, als sie allen eine gute Nacht gewünscht hatten und in die nur zweihundert Meter weit entfernte Ingenieursvilla zurückkehren wollten. Es war zwei Uhr nachts, sie waren relativ lange im Herrenzimmer geblieben, weil sich zwei Gentlemen-Cousins höflich, aber vehement über den Burenkrieg in die Haare geraten waren.
    Wie lange der Kutscher wohl im Regen gewartet hatte? Eine Stunde? Zwei?
    Die Fahrt dauerte höchstens zwei Minuten. Der Kutscher stieg vom Bock und spannte einen großen Regenschirm auf. Sie verschwanden ausgelassen im Haus.
    Sie waren sich einig, dass sie beide zu viel getrunken hatten, eilten auf die Toilette und ließen sich dann jeder im eigenen Schlafzimmer ins Bett fallen. Gelegentlich, wenn sie zu viel getrunken hatten, schliefen sie allein.
    Das große englische Frühstück, dessen Duft sie weckte, wurde taktvollerweise erst um zehn Uhr am nächsten Tag serviert. Sie frühstückten im Morgenmantel und genossen ihren Kaffee, eine kontinentale Sitte, die Albie bereits in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft resolut in Manningham eingeführt hatte.
    »Und?«, fragte Albie ausgelassen, nachdem er seine Leinenserviette beiseitegeworfen hatte. »Wollen wir unsere Degas-Bilder aufhängen? Deine, genauer gesagt. Schließlich waren sie mein Mitbringsel für dich.«
    »Nein«, erwiderte Sverre und warf ebenfalls seine Serviette beiseite. »Dort unten hängen bereits einige Gemälde, die du dir zuerst noch ansehen sollst.«
    Albie musterte ihn eindringlich und erhob sich dann so rasch, dass sein Stuhl umfiel, bevor er zu der Tür eilte, die aus der Küche in den Kunstsalon führte. Sverre folgte ihm.
    Die Gemälde hingen ganz hinten vor der Werkstatt, und Albie war eine gute Weile vor Sverre dort, der nervös seine Schritte verlangsamte.
    Mit großen Augen schritt Albie die Bilderreihe ab. Diese Miene hatte Sverre noch nie an ihm gesehen, also ging er davon aus, dass sie nicht geziert war. Auf leisen Sohlen näherte er sich Albie, bis sie nahe beieinanderstanden. ­Albie ging zwischen den Porträts hin und her. Die Luft war elektrisch geladen, und es kostete Überwindung, das Schweigen zu brechen. Schließlich ergriff Albie das Wort.
    »Mein geliebter Sverre, was hast du getan!«, rief er mit zugleich vorwurfsvoller als auch bewundernder Stimme. Sverre war verunsichert.
    »Das sind die vier besten Gemälde meines Lebens«, erwiderte er leise.
    »Aber warum zwei Porträts von mir? Mir gefällt das

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