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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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und wieder auf Englisch. »Aber jetzt wollen wir den Dingen nicht vorgreifen. Natürlich liebe ich Margie, denn sie hat mich innerlich befreit und mir dadurch ermöglicht, wahrhaftig zu malen. Aber was die Liebe betrifft, hat Platon diese Frage bereits geklärt.«
    »Ich weiß. Sollen wir wieder Deutsch sprechen?«
    »Nein, der Anfang ist gemacht, jetzt können wir wieder Englisch sprechen. Apropos Platon …«
    Er machte eine vielsagende Pause, ehe er sich einem der schwierigsten Themen zuwandte, nämlich Oscar Wildes Beschreibung der Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt, vor Gericht. Sverre hatte die Lektüre dieses Abschnitts stark berührt, und er konnte ihn auswendig. Aber darum ging es ihm nicht.
    Es ging um den älteren Mann, der dem jüngeren seinen Intellekt schenkt, und den jüngeren, der dafür seine ganze Lebensfreude zurückgibt und das Streben nach dem Schönsten im Leben, das seiner harrt. Wie ließ sich das auf sie selbst übertragen? Indem Albie die Rolle Oscar Wildes und er selbst jene Bosies übernahm?
    Er bereute seine Worte sofort. Der Gedanke war richtig, aber er hätte ihn eleganter formulieren sollen. Es war idiotisch, sich mit Bosie zu vergleichen. Aber gesagt war gesagt.
    Albie schüttelte lachend den Kopf.
    »Was spielt das für eine Rolle?«, fragte er und breitete die Arme aus. »Wir sind wir, hier und jetzt. Was Oscar vor Gericht gesagt hat, war Poesie und hatte nicht unbedingt mit den naturwissenschaftlichen oder historischen Wahrheiten zu tun, mit denen wir Ingenieure uns befassen. Ingenieure gibt es viel zu viele und Künstler viel zu wenige. Dieser Gedanke beschäftigt mich schon den ganzen Tag. Wer so malen kann wie du, sollte seine Zeit nicht als Ingenieur verschwenden. Werde Maler, versprich mir das hier und jetzt!«

IV – Die unfreiwillige Unschuld und der stärkste Mann der Welt
    London, Juni bis August 1905
    Das Criterion am Piccadilly Circus war kein normales Pub. Allein schon die Eleganz der Einrichtung und der Kleidung der Gäste stellte dies klar. Wer gewisse Zeichen zu deuten wusste, dem fiel die geradezu schockierend große Anzahl glatt rasierter Männer auf. Die Anzahl roter Schlipse ebenfalls.
    Daher sorgte das Eintreten der beiden ausländischen Riesen für ein gewisses Aufsehen. Insbesondere da sie, ­ohne zu zögern, breitbeinig und schaukelnd auf den angestammten Tisch Lord Archibald Cavendishs zugingen und dort ohne Weiteres Platz nahmen.
    Zwei nervöse Kellner eilten herbei, um das peinliche Missverständnis so rasch und diskret wie möglich aufzuklären. Den beiden riesigen Ausländern schien jedoch an Diskretion nicht gelegen zu sein. Sie bestellten doppelte Pints Lagerbier, falls es das gebe. Andernfalls gäben sie sich auch mit dunklem Bitter zufrieden. Alles mit lauter Stimme und unterstreichender Zeichensprache, während die Kellner sie flüsternd zu bewegen suchten, aufzustehen und vorzugsweise das Lokal wieder zu verlassen oder zumindest an der langen Theke Platz zu nehmen. Man sprach aneinander vorbei, und die Eindringlinge wiederholten mit noch lauterer Stimme ihre Bestellung, woraufhin sich die beiden Kellner mit halbwegs gewahrter Würde zurückzogen.
    Ein interessantes Schauspiel schien bevorzustehen. Die Kellner waren zweifellos auf dem Weg zum Entree, um sich die Unterstützung der beiden uniformierten Rausschmeißer zu sichern. Problematisch war die beeindruckende Massigkeit der unverschämten Gäste. Sich der bedrohlichen Lage, in der sie sich befanden, völlig unbewusst und in Erwartung ihres Bieres, nicht aber der Rausschmeißer und eines Handgemenges, unterhielten sie sich unbekümmert.
    »Da werden Geoffrey und Stanley aber alle Hände voll zu tun haben, wenn sie die beiden aus dem Lokal schaffen wollen. Ich freue mich schon auf das Schauspiel«, meinte Albie amüsiert.
    Der Tisch, an dem sie für gewöhnlich saßen, stand zufälligerweise neben dem Lord Archibalds, also äußerst günstig.
    »Das sind sozusagen meine Landsleute«, meinte Sverre. »Der eine ist Schwede, der andere Däne.«
    »Du könntest dich also in deiner wilden nordischen Sprache mit ihnen unterhalten? Mit ihrem Englisch ist es, soweit ich gehört habe, nicht weit her.«
    »Durchaus. Sollen wir dafür sorgen, dass sie sitzen bleiben dürfen? Gib zu, dass sie dich auch interessieren.«
    Albie erhielt keine Gelegenheit zu antworten, denn jetzt näherten sich vier angespannte Männer. Die Vorhut bildeten die Rausschmeißer Geoffrey und Stanley, hinter deren Rücken

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