Die Brueder
hob, war der Stärkste. Im Vorjahr hatten die Griechen eine neue Regel durchgesetzt, die vorschrieb, dass die Stange mit einer einzigen Bewegung in die Luft gehoben und dann mit gestreckten Armen gehalten werden musste. Das lag daran, dass es einen griechischen Gewichtheber gab, der mit dieser neuen Regel bei den Olympischen Spielen die Goldmedaille erringen konnte. Durch dieses Manöver war der Weltrekord auf bescheidene 142 Kilo gesunken. Der Weltrekord musste bei jedem neuen Auftritt einfach nur um ein Kilo gesteigert werden. An diesem Abend würde er auf 144 Kilo steigen, in zwei Tagen in Newcastle auf 145 Kilo, dann würden sie weiter ins Casino de Paris ziehen, dort würden es 146 Kilo sein und so weiter. Arvid Sandberg hatte für die Sommertournee einen Vertrag für zehn Weltrekorde unterschrieben. Es versprach eine gute Saison zu werden, denn für jeden gebrochenen Weltrekord gab es einen Bonus.
Bei der Reise nach England handelte es sich eigentlich nur um einen kleinen Abstecher, um, wenn möglich, dieses Eugen Sandows habhaft zu werden und natürlich, um ein paar Weltrekorde aufzustellen, die die Kasse aufbesserten. In Paris stand professionelles Ringen an. Gewonnen hatte, wer den Gegner zu Boden warf, und die Kämpfe konnten stundenlang dauern. Im Ringkampf war der Däne, der Beck-Olsen hieß, überlegen. Er entschuldigte sich, weil er sich jetzt erst vorstellte. Arvid Sandberg war noch ein relativ unerfahrener Ringkämpfer, was seine Kraft nicht ganz wettmachen konnte. Aber je häufiger man kämpfte, desto mehr lernte man schließlich.
Albie warf ein, ob nicht Biertrinken im Criterion – die skandinavischen Athleten waren bei der zweiten doppelten Runde angelangt – eine etwas unkonventionelle Trainingsmethode für einen Anwärter auf einen Weltmeistertitel sei.
»Allerdings!«, lachte der Schwede. »Wenn es ein richtiger und kein griechischer Wettkampf wäre.« 144 Kilo seien kein Problem. Mit achtzehn habe er bereits 152 Kilo gestemmt. Im Übrigen sei der Einwand aber nicht ganz unberechtigt. Zwei Liter Bier genügten zur nachmittäglichen Auflockerung durchaus. Danach ein paar Stunden Schlaf, ordentlich gepinkelt und rauf auf die Bühne. Apropos Bühne: Ob sie die Herren wohl als kleinen, aber tief empfundenen Dank für ihre Freundlichkeit zur Abendvorstellung einladen dürften? Sie würden zwei Freikarten an der Kasse hinterlegen.
Darauf stießen sie an. Albie und Sverre nippten an ihren geschliffenen Weingläsern, die beiden skandinavischen Riesen spülten den Rest ihres Biers runter. Dann erhoben sie sich und zogen sich ihre riesigen Jacken wieder an. Sie hielten Albie und Sverre ihre gewaltigen Pranken zum Abschied hin und verließen mit schweren, wiegenden Schritten, die keinerlei Angetrunkenheit verrieten, das Lokal.
Albie bestellte mehr Wein, sie nippten und verfielen in nachdenkliches Schweigen. Die Begegnung mit den Athleten hatte etwas Surreales und Verspieltes, ein Zustand, den sie auf ihren Londonreisen so sehr schätzten. Aber der leichtsinnige Lebensstil stieß an eine peinlich konkrete Grenze. Ein Dandy konnte nach Herzenslust auf den Straßen und in den Pubs Londons herumtanzen, solange er einen Vater hatte, der sich um die Finanzen der Familie kümmerte. Aber nachdem Albie die Pflichten seines Vaters geerbt hatte, war das nicht mehr möglich. Diese Erkenntnis hatte Albie erstmals ereilt, als er verreist war, ohne Sverre eine einzige Zwei-Pence-Münze für Farben zurückzulassen. Diese Erinnerung schmerzte Albie, und er entschuldigte sich immer wieder, obwohl der Vorfall schon einige Jahre zurücklag.
Und nun hatten sie also dagesessen und sich über das Albie verhasste Thema Finanzen unterhalten. Das Gespräch war bis zum Verkauf des Hauses in Mayfair gediehen, als die beiden Athleten das Criterion betreten hatten.
Albie seufzte und zwang sich, noch einmal auf das ungeliebte Thema zurückzukommen.
Das Anwesen in Mayfair war über zweihundert Jahre im Besitz der Familie gewesen und vor sechzig oder siebzig Jahren ausgebaut worden. Damals hatte man die Saison in London verbracht, wenn das Wetter in Wiltshire allzu feucht und kalt war. Dieser Lebensstil war nicht nur überholt, es war auch ausgesprochen unwirtschaftlich, den gesamten Haushalt auf diese Art hin- und herzuziehen. In Manningham eine Zentralheizung zu installieren kostete nur einen Bruchteil. Rein geschäftlich, wenn man sich denn auf diese Ebene herablassen wollte, war der Zeitpunkt für den Verkauf des
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