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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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sich die Kellner versteckten. Aus der Nähe schien auch den beiden Rausschmeißern das Problem bewusst zu werden. Ihre Haltung ließ eine gewisse Unsicherheit erkennen.
    »Was ist hier los?«, brüllte Geoffrey nichtsdestotrotz kühn und deutete demonstrativ auf Lord Archibald Cavendishs Tisch, auf dem eine ungeheuerliche Muskelkraft zur Schau gestellt wurde, nachdem die beiden Riesen ihre Jacken abgelegt und ihre Oberarme entblößt hatten, deren Umfang den Oberschenkeln eines durchschnittlichen Criterion-Gastes entsprach.
    »Bitte, greif ein!«, flüsterte Sverre.
    Albie nickte und wandte sich dem Schauspiel zu.
    »Entschuldigen Sie, Geoffrey, aber ich glaube, es handelt sich hier um ein Missverständnis«, sagte er, was die gesamte Rausschmeißerdelegation aus dem Konzept brach te. »Ich weiß zufällig, dass Lord Archibald im Augenblick auf Capri weilt. Darum bin ich mir sicher, dass er nichts dagegen hätte, dass meine Gäste an seinem freien Tisch sitzen. Wenn Sie jetzt so freundlich wären, den Herren ihre Bestellung zu bringen? Auf meine Rechnung natürlich, ich glaube, es handelte sich um zwei Pints pro Person. Und wenn Sie dann freundlicherweise noch den Tisch der Herren etwas näher an unseren heranrücken würden, um uns die Unterhaltung zu erleichtern? Vielen Dank, ich weiß das sehr zu schätzen.«
    Albies Wünschen wurde ungefähr zeitgleich mit ihrer Äußerung entsprochen. Die beiden Rausschmeißer zogen sich diskret zurück, der eine Kellner eilte auf die Bar zu, der andere rückte den Tisch der Ausländer näher an Albies und Sverres heran, nicht ohne misstrauische Proteste der beiden unfreiwilligen Gäste.
    Sverre sah ein, dass er ihnen schleunigst eine Erklärung schuldete.
    »Ich heiße Sverre Lauritzen, bin Ingenieur aus Bergen und freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen«, begrüßte er sie auf Norwegisch. »Und das hier ist mein englischer Freund Albert Manningham. Entschuldigen Sie, dass wir uns eingemischt haben, aber man war im Begriff, Sie rauszuwerfen.«
    »Diese Zwerge wollten uns rauswerfen?«, erwiderte der Schwede bestürzt.
    Der Däne lachte. Er schien den Gedanken an einen Rausschmiss aus dem Criterion ungeheuer komisch zu finden.
    Die vier Pints helles Lagerbier für die beiden skandinavischen Riesen kamen förmlich vom Bartresen angeflogen. Daraufhin brach die Unterhaltung ab, sie sahen sich feierlich in die Augen und leerten, ohne einmal abzusetzen, das erste Glas. Dann knallten sie ihre leeren Gläser gleichzeitig auf den Tisch, seufzten zufrieden und wischten sich mit den Hemdsärmeln den Schaum aus dem Schnurrbart.
    »Danke«, sagte der Däne, den die Entwicklung der Dinge sichtlich amüsierte. »Es hätte mich natürlich interessiert, wer wen rausgeworfen hätte, aber ein Bier ist mir dann doch lieber.«
    »Was machen Sie in London, und wie hat es Sie ins Criterion verschlagen?«, nahm Sverre das Gespräch wieder auf.
    »Übersetz mir das, mein Lieber, worüber unterhaltet ihr euch?«, wollte Albie wissen.
    »Ich bin hier, um heute Abend um sieben Uhr den Weltrekord im athletischen Gewichtheben zu brechen. Mein Name ist Arvid Sandberg. Danach geht es weiter nach New­castle, auch dort ist ein neuer Weltrekord fällig sowie ein Ringkampf. Aber heute Abend treten wir in einem ­Lokal oder Cabaret auf, das Albert Royal Hall heißt, falls Ihnen das etwas sagt?«
    »Ja, das sagt uns etwas«, antwortete Sverre und wandte sich rasch an Albie, um zu übersetzen.
    Die weitere Unterhaltung verlief lebhaft und nicht ganz ohne Komplikationen, da Sverre sprachlich vermitteln musste und die Geschichte der beiden Athleten anfänglich recht unwahrscheinlich klang.
    Der Schwede hatte in Skandinavien, Russland, Deutschland, Finnland, Frankreich und den USA den Titel »stärkster Mann der Welt« errungen, aber noch nicht in England. Seltsamerweise besaß jedes Land seinen eigenen »stärksten Mann der Welt«. In England war das ein kleiner, verschlagener Geselle mit dem Künstlernamen Eugen San­dow, dem es bislang immer gelungen war, sich jedem Herausforderer zu entziehen.
    Die stärksten Männer der Welt waren Varietékünstler. Sie knieten unter einer Plattform und hoben vierzehn Männer oder mehr in die Luft, hielten ein Wippbrett mit einem Automobil darauf in der Waagerechten oder hoben schlimmstenfalls ein Pferd in die Luft, was recht beschwerlich war, da die armen Gäule oft panisch wurden und scheuten. Sie jonglierten mit echten und weniger echten Gewichten. Wer das meiste Gewicht

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