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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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zwischen der Euston Road und Holborn. Ich bin mir sicher, das Haus wird dir gefallen.«
    Die Royal Albert Hall war bis zum letzten Platz ausverkauft, aber die beiden Athleten hatten ganz richtig zwei Eintrittskarten an der Kasse beim Haupteingang für sie hinterlegt. Es handelte sich um einen Kabarettabend mit bunt gemischtem Programm, eine Veranstaltung, wie sie Albie und Sverre sonst nie besuchten. Tanzdarbietungen, Jongleure, Feuerschlucker, Zauberer, die eine oder andere verschreckte Solistin und weitere ähnlich schlichte Nummern.
    Albie war skeptisch. Er hatte Sverre einige Freunde vor­stellen wollen, die an diesem Abend ihren neuen Donnerstagsclub ins Leben rufen wollten. Er meinte, die Diskussionen dort seien sicher interessanter als dieses volkstümliche Spektakel. Sverre hatte seinen Skizzenblock auf den Knien und ließ sich von Albies ironischen Einwänden nicht beeindrucken. Falls der biertrinkende Schwede aus dem Criterion wirklich auf der Bühne erschien, um einen Weltrekord zu brechen, war allein das eine gute Geschichte. Sverre schwebte eine neue Bilderserie vor, der menschliche Körper, radikal anders als die Serie Arbeiterbilder aus Manningham, die ihm zum Schluss fast zu viel geworden waren.
    Der Versuch, den Weltrekord im Gewichtheben zu brechen, tauchte im Programm als Schluss- und Hauptnummer auf. Zwischen den einzelnen Nummern verkündete der Conférencier immer wieder, wie lange das Publikum noch auf den stärksten Mann der Welt warten müsse. Langsam, aber sicher stieg die Spannung, und sogar Albie ließ sich schließlich anstecken.
    Als es endlich so weit war und der rote Vorhang aufging, war die Bühne bis auf eine von Scheinwerfern angestrahlte Scheibenhantel und eine Waage leer. Beim ersten Trommelwirbel trat der Conférencier mit zwei stämmigen Bühnenarbeitern und einem Herrn, den er als Beamten der Handelskammer vorstellte, auf die Bühne. Die Scheibenhantel wurde auf die Waage gewuchtet, die 320 englische Pfund anzeigte, zwei Pfund mehr als der bisherige Welt­rekord. Der Conférencier gab bekannt, dass bei dem Versuch, den Weltrekord zu brechen, drei Ansätze erlaubt seien, mehr jedoch nicht. Dann verließen er und seine Helfer die Bühne, nachdem diese die Scheibenhantel wieder im Scheinwerferlicht platziert hatten.
    Lichtkegel tanzten über die Bühne, das Orchester spielte einen Tusch, die Spannung stieg, und der Gewichtheber ließ seltsam lange auf sich warten. Dann plötzlich ein Trommelwirbel, und Albies und Sverres neue Bekanntschaft betrat die Bühne, jetzt mit glänzender Pomade im Haar, die seine braunen Locken fast gänzlich geglättet ­hatte, gewichstem Schnurrbart, Ringerleibchen, einer Reihe Medaillen auf der Brust und einem breiten Gürtel. Er wurde mit Jubel und begeistertem Applaus begrüßt. Der Schwede umkreiste die Scheibenhantel einige Male und betrachtete sie beinahe feindselig, dann beugte er sich vor, um sie zu packen, überlegte es sich dann aber anders, umrundete sie noch einige weitere Male und schien schließlich einen Entschluss zu fassen. Er trat vor und ergriff die Stange, und weißes Talkumpuder stob von seinen Händen auf. Der Trommelwirbel schwoll zu einem Crescendo an und verstummte dann abrupt.
    Mit einem Schrei riss der Athlet in der Hocke die Stange über den Kopf, schien zu schwanken, erhob sich dann seltsam unbeschwert und hielt das Gewicht mit ausgestreckten Armen über den Kopf. Fanfaren und stürmischer Beifall vermischten sich, der Gewichtheber ließ die Stange mit einem ohrenbetäubenden Knall zu Boden fallen und hob triumphierend die gewaltigen Arme. Dann verbeugte er sich dreimal vor dem Publikum, winkte und zog sich zurück. Der Applaus toste noch lange, nachdem er die Bühne verlassen hatte, aber er kam kein weiteres Mal zum Vorschein.
    Stattdessen erschien der Conférencier und hob, um Ruhe bittend, die Arme.
    »Meine Damen und Herren, heute Abend haben wir noch eine Extranummer für Sie in petto!«, gab er bekannt und wartete, bis es etwas ruhiger wurde. »Der stärkste Mann der Welt, kein Geringerer als der Stolz Londons, Eugen Sandow!«
    Erst Erstaunen, dann ohrenbetäubender Jubel. Der Conférencier bat erneut um Ruhe und sprach dann weiter.
    »Meine Damen und Herren: Gewichtheben als Sport fordert seinen Mann. Das haben wir gesehen. Aber was Kraft angeht, kommt man mit Hantelstangen bei unserem Eugen Sandow nicht weit. Er wird uns zeigen, wie wahre Kraft aussieht. Hier ist er!«
    Der Conférencier verschwand, und unter

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