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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Detail deutlich unter der Haut abzeichneten. Sandow hatte sich eingeölt, damit das Sonnenlicht die Kontraste zwischen den verschiedenen Muskelgruppen noch verstärken konnte. Seine Gehilfen hingegen waren weiß bemalt, sodass sie bei den anschließenden Posen, die sie einnahmen, ihren griechischen Vorbildern verblüffend ähnlich sahen. Sverre konnte die Vorbilder aus dem British Museum oder Berlin mühelos identifizieren.
    Dann war es Zeit für Eugen Sandows großes Finale, das ihn allein auf dem rotierenden Podest zeigte. Die Darbietung ähnelte sehr stark jener in der Royal Albert Hall, nahm aber mindestens dreimal so viel Zeit in Anspruch. Sverre fertigte eine Skizze nach der anderen an, wobei ihn eine regelrechte Euphorie erfasste. Er hatte das Gefühl, ganz neuen Ideen auf der Spur zu sein, die er nicht bewusst in Worte fassen konnte, dazu fehlte ihm die Zeit, die aber darauf hinausliefen, allen zeitgenössischen Vorstellungen über den modernen, verweichlichten und degenerierten Menschen etwas entgegenzusetzen und den Männerkörper in lebendige Kunst zu verwandeln und die antiken Stil­ideale in einem vollkommen modernen Umfeld wieder­auferstehen zu lassen.
    Als Abschlussnummer stand Arvid Sandbergs Weltrekordversuch auf dem Programm. Dieses Mal mussten zwei Pfund mehr als zwei Tage zuvor in London gehoben werden. Der Conférencier gab stolz bekannt, dass, so es Gottes Wille sei, Newcastle London als Stadt des Weltrekords ablösen würde, was beim Publikum große Begeisterung hervorrief.
    Die Darbietung vollzog sich genau wie jene in London, die Hantelstange wurde feierlich gewogen, die Regel, dass bei dem Versuch, einen Weltrekord zu brechen, nur drei Versuche erlaubt seien, wurde verlesen, und schließlich umkreiste der Schwede schnaubend die Hantelstange, als müsse er sich sammeln oder als zögere er angesichts der unglaublichen Herausforderung. Dann packte er die Stange.
    Auch dieses Mal wurde der Weltrekord wieder gebrochen, mit dem kleinen Unterschied, dass der Athlet beim ersten Versuch so tat, als müsse er aufgeben. Ein Raunen der Enttäuschung ging durch das Publikum. Vereinzelte ermutigende Zurufe waren zu hören. Arvid Sandberg drehte drei weitere schnaubende Runden um die Hantelstange, ehe er zu einem neuen rasenden Angriff ansetzte. Laut brüllend riss er die Stange nach oben, hielt sie mit ausgestreckten Armen über den Kopf und erhob sich dann, scheinbar ohne die geringste Anstrengung. Jetzt war also Newcastle die Stadt des Weltrekords, und der Beifall wollte kein Ende nehmen. Ein kleines Mädchen lief auf die Bühne und überreichte dem Weltrekordler einen Strauß rote Rosen.
    Sverre wartete höflich, bis sich Applaus und Jubel gelegt hatten, und eilte dann davon, um Sandow aufzusuchen.
    Er fragte sich zu dem Wohnwagen durch, in dem dieser und seine Gehilfen untergebracht waren.
    »Herein!«, brüllte jemand auf Deutsch, als er anklopfte.
    Er öffnete die Tür und trat ein. Sandow und seine zwei Gehilfen saßen an einem kleinen runden Tisch und hatten Gläser mit einem Getränk unbestimmbar grauer Farbe vor sich stehen. Die Gehilfen hatten sich notdürftig ihre weiße Farbe abgewaschen, Sandow das Öl, und alle drei trugen Trainingshosen.
    »War das nicht Deutsch?«, fragte Sverre auf Deutsch, als er eintrat.
    »Natürlich! Friedrich Wilhelm Müller, zu Diensten«, antwortete Eugen Sandow mit einem deutlichen ostpreußischen Dialekt. »Und wer sind Sie?«
    »Ich bin Sverre Lauritzen aus Dresden, nun, eigentlich stamme ich aus Norwegen. Ich bin Maler«, stellte sich Sverre vor. »Ich wusste nicht, dass Sie Deutscher sind, Herr Müller.«
    Die beiden anderen Männer erhoben sich, und Sandow stellte seine englischen Gehilfen vor. Möglicherweise lag es an der unerwarteten sprachlichen Gemeinsamkeit mit Sandow/Müller, dass Sverre so freundlich empfangen wurde. Wenig später hatte er sein Anliegen vorgetragen, dass er vorhabe, die lebendigen Skulpturen, die er in London und Newcastle gesehen habe, künstlerisch abzubilden. Der Wunsch, sie noch einmal in Aktion zu sehen, habe ihn zu der Reise hierher bewogen.
    Eugen Sandow alias Friedrich Wilhelm Müller schien das hartnäckige Interesse Sverres zu schmeicheln. Er entdeckte Sverres Skizzenblock und bat darum, ihn sich ansehen zu dürfen. Anschließend wurden sie sich recht rasch einig.
    Sandow betrieb eine Gymnastikeinrichtung in London, The Institute of Physical Culture in der St. James’s Street unweit des Piccadilly Circus. Dort wollten sie

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