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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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glückliche Bild einer neuen Zeit, einer neuen, friedlichen und fortschrittlichen Welt. Die Menschheit schickte sich an, den großen Sprung in das gewaltige Jahrhundert der Technik zu tun. Falls der nicht bereits vollzogen war.
    Sverre wurde von einem Schwindel ergriffen. Das passierte ihm manchmal, wenn ihm bewusst wurde, wie unvorhersehbar das Leben war. Er befand sich auf einem Kiesweg in Nordengland, und das war seine Wirklichkeit. Was Oscar und Lauritz wohl jetzt gerade in ihren Wirklichkeiten taten? Wie er einer Notiz in der Times entnommen hatte, war die Bergenbahn fertiggestellt, kämpfte jedoch noch mit gewissen Anfangsschwierigkeiten, die in der Notiz nicht näher erläutert wurden, vielleicht Schneeverwehungen oder Erdrutsche. Vermutlich waren seine Brüder also damit beschäftigt, diese zu beseitigen.
    Wenn sie ihn jetzt vor den Toren Newcastles sehen könnten, unterwegs, um Männer in Trikots und Leopardenfellen beim Kraftsport abzubilden, würden sie ihm da verzeihen oder ihn wenigstens verstehen können? Vermutlich nicht.
    Er war bei einer Art Zirkus angelangt. Das große graue Zelt war mit roten, blauen und weißen Wimpeln geschmückt. Daneben stand eine Tribüne, umgeben von aufgestellten Bankreihen wie in einem Amphitheater. Sverre vermutete, dass es vom Wetter abhing, ob die Vorstellung drinnen oder draußen stattfand. Es war ein milder Sommertag mit klarem Himmel, also hatte man die Tribüne im Freien gewählt, weil vor dieser bedeutend mehr Zuschauer Platz fanden als im Zirkuszelt. Die Schlange vor der Kasse war zweihundert Meter lang. Auf den Plakaten war der Name des schwedischen Weltrekordlers falsch geschrieben. Ein imposantes, farbiges Bild zeigte ihn mit übergroßer Hantelstange, die er über seinem Kopf hielt. Es war jedoch bei Weitem nicht so eindrucksvoll wie das Bild des anderen Stars, des schweißglänzenden Eugen Sandow mit einem Leopardenfell über der Schulter.
    Sverre kaufte eine Karte der teuersten Kategorie, um den Protagonisten möglichst nahe zu kommen. Als er im Programmheft blätterte, stellte er zufrieden fest, dass die Hauptattraktion hier, im Gegensatz zu der Londoner Vorstellung, der Kraftsport sein würde.
    Neben dem Zirkuszelt standen grellbunt bemalte Wagen, in denen sich die Artisten umziehen konnten. Sverre entdeckte die beiden skandinavischen Riesen, als sie einen Wagen betraten, der beunruhigend zu schaukeln begann.
    Es dauerte recht lange, bis sich die Arena mit Zuschauern gefüllt hatte. Die Vorstellung begann jedoch zur vorgesehenen Zeit.
    Als Erstes standen Schaukämpfe auf dem Programm, die von Männern durchschnittlicher Statur vorgeführt wurden. Gegen Ende der Nummer tauchten die beiden Skandinavier im Hintergrund auf und wurden unverzüglich von den kleineren, agileren Ringkämpfern angegriffen, die gegen die beiden Riesen zur allgemeinen Heiterkeit natürlich nichts ausrichten konnten. Der Auftritt endete damit, dass der Schwede auf die Knie fiel, beide Arme zur Seite streckte und die vier Ringer auf seinen Oberarmen Platz nahmen. Unbeschwert, als seien sie Stoffpuppen, hob er sie hoch und trug sie unter allgemeinem Jubel einige Runden auf der Bühne herum.
    Dann war es Zeit für den Kampf der beiden Giganten. Es war wie ein Zusammenstoß zweier Dampflokomotiven. Dieser Eindruck wurde von ihrem lauten Keuchen verstärkt, als sie einander hin und her über die Bühne trieben, während sie sich gegenseitig zu packen suchten. Zu guter Letzt brachte der Däne den Schweden zu Fall, dann rangen sie eine Weile miteinander, bis der Schwede in einer Brücke abwärtsgedrückt wurde und all seine Kraft aufbieten musste, damit seine Schultern nicht auf der Matte landeten. Plötzlich gelang es ihm, sich wie durch ein Wunder zu befreien, und die Rollen waren vertauscht. Der offenbar im Voraus vereinbarte Kampf wogte noch einige Male hin und her. Einmal hatte der eine die Oberhand, dann wieder der andere. Sowohl auf der Bühne als auch auf Sverres Skizzenblock herrschte hohes Tempo.
    Die Statur und Kraft der beiden Varietékünstler war beeindruckend, aber bereits während Sverre an seinen Skizzen arbeitete, wusste er, dass diese bierbäuchigen Kraftprot­ze nicht waren, was er suchte. Kraft war eines, Schönheit etwas ganz anderes.
    Bis zum Auftritt Eugen Sandows verging fast eine Stunde. Dieses Mal hatte er zwei Gehilfen dabei, zwei Männer von ähnlicher Statur wie er selbst, ohne ein Gramm überflüssiges Fett am Körper und mit Muskeln, die sich bis ins kleinste

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