Die Brueder
hätte.
Selbstverständlich unterstützten sie Sandbergs Reise nach Sankt Petersburg. Sverre und Albie trugen je einen Fünf-Pfund-Schein bei.
So weit hatten sich Albies Erwartungen erfüllt. Die Reise verlief in befreiender Sorglosigkeit, die einen großen Bogen um alles Schwere im Leben machte, insbesondere alles, was mit einem schlechten Gewissen zu tun hatte.
Der Freundeskreis in Bloomsbury, diese wundervoll kindischen, scheinbar ständig glücklichen und leichtsinnigen Menschen, mit denen sich ein so verführerisch herrlicher Umgang pflegen ließ, waren sich rührend einig, dass Arbeit nicht das Wichtigste im Leben war. Arbeit war Leibeigenschaft, Fesseln, nicht nur für den Körper, sondern auch für die Gedanken. Das Wesentliche im Leben wurzelte in der Fantasie, der Kunst, der Freundschaft und der Liebe.
Diesem Gedanken oder dieser Lebenseinstellung konnte kaum widerstehen, wer zu einem schlechten Gewissen oder, noch schlimmer, zu Faulheit neigte.
Wie er selbst. Ab und zu musste er sich, fast beschämt, dem bunten, freien Leben entziehen und sich hinter dem Rücken der Freunde mit ganz anderen Dingen befassen, mit den grauen Seiten des Lebens wie Geld, Angestellte, Löhne, Investitionen, neuen Maschinen, Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse und all dem, worüber die Freunde nur höhnisch gelacht hätten.
Anschließend schlich er in ihren Kreis zurück, goss sich ein Glas ein und genoss die Unterhaltung.
Aber er hatte Sverre hintergangen. Nicht im Sinne körperlicher Untreue, darauf verzichtete er, weil sich Sverre das so zu Herzen nahm, sondern, noch schlimmer, er hatte Roger Fry gebeten, einige seiner Londoner Kritikerfreunde mitzubringen, um die wachsende Zahl von Gemälden in der Manninghamer Galerie in Augenschein zu nehmen. Sverre hatte zu diesem Zeitpunkt nichts Böses ahnend eine kleine Reise zu den Nacktbadern, den Neopagans, unternommen, was diesen Verrat also fast schon an Untreue grenzen ließ. Zu seiner Verteidigung konnte Albie nur vorbringen, dass Sverres selbstkritische Haltung wider jede Vernunft ihm zunehmend auf die Nerven ging und für Sverre, der ständig neuen Ideen hinterherjagte und behauptete, nie ans Ziel zu kommen, fast schon destruktive Formen angenommen hatte.
Vielleicht wollte er auch einfach nur Gewissheit haben. In seinen Augen, die natürlich durch Liebe getrübt waren, war Sverre bereits jetzt ohne jeden Zweifel der größte Meister der Gegenwart, der über ein Register verfügte, das umfassender war als alles, was man sich vorstellen konnte.
Roger Fry würde sich in seinem Urteil nicht davon beeinflussen lassen, dass sie befreundet waren, das stand fest. Sverre und er hatten häufiger kleinere Auseinandersetzungen über Rogers Theorien hinsichtlich der Form als »Bedeutungsträger« gehabt.
Roger und seine Kollegen waren sich bereits nach wenigen Minuten in dem wintergartenähnlichen Ausstellungsgang einig und erklärten euphorisch, dass Sverre es nicht nur mit allen zeitgenössischen englischen Malern aufnehmen könne, sondern bei einer Ausstellung in Paris vermutlich einen Durchbruch erleben würde. Insbesondere mit seinen provokanten, vor Kraft strotzenden und erotisch aufgeladenen Körperstudien von Männern.
Die Aussage erleichterte Albie. Endlich hatten sich seine Hoffnungen bestätigt. Gleichzeitig fiel es ihm schwer, Sverre nichts davon erzählen zu dürfen.
Eines schönen Tages, früher oder später, insbesondere später, lange nach Sverres internationalem Durchbruch, würde sich schon eine passende Gelegenheit zur Beichte finden. Schließlich hatte er einen triftigen Grund gehabt. Er hatte sich von einem unabhängigen Sachverständigen bestätigen lassen müssen, dass Sverre auch in den Augen anderer ein großartiger Künstler war.
Das bestärkte ihn dann auch in seiner Überzeugung, dass es richtig und wichtig war, sich weiterhin als Sverres Mäzen zu betätigen.
Ein unbehagliches Wort, ein Ausdruck aus der Wirtschaft. Sponn man den Gedanken sachlich weiter, drängte sich der wenig schmeichelhafte, aber unvermeidliche Schluss auf, dass der 13. Earl of Manningham ein mittelmäßiger Dichter, aber kaum mehr war, ein leidenschaftlicher Musikliebhaber, aber kein Musiker oder Komponist und ganz sicher kein Maler. Trotzdem konnte er die Kunst dadurch fördern, dass er dem Künstler, den er am meisten liebte, alle finanziellen Mittel, die für ein Gelingen nötig waren, zur Verfügung stellte. Er wollte ihn aber nicht nur finanziell unterstützen,
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