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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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in der Serie immer weiter, bis sie schließlich im Schlussbild schweißglänzend und eine Zigarette rauchend dalag.
    Die zehn Gemälde glichen Abschnitten eines Filmstreifens. Die Veränderung von einem Bild zum nächsten war gering, aber der Unterschied zwischen dem ersten und dem letzten Bild frappierend.
    Das erste Bild hätte man bedenkenlos überall ausstellen können, das letzte hätte überall einen Skandal ausgelöst. Und doch war es dasselbe Bild, die verschiedenen Deutungen lagen im Auge des Betrachters, und somit stand der Titel für das Gesamtwerk fest.
    Die Arbeit nahm zwei Monate in Anspruch und gestaltete sich zu Beginn am schwierigsten, weil sich Margie ständig nach Zigaretten sehnte. Inzwischen rauchte sie wie die Stephen-Schwestern Kette. Am einfachsten war es demnach beim letzten Bild, als die Zigarette Teil des Sujets war.
    Gelegentlich kamen sie auf jenes weit zurückliegende Mal zu sprechen, das eigentlich gar nicht so lange her war, als Sverre ihr erstes Porträt auf Manningham gemalt hatte. Jenes Bild einer in ihren Grundsätzen gefestigten jungen Lady mit intellektuellen Interessen. Damals hatten sie über die Zigarette noch als undenkbares Symbol der Auflehnung gescherzt und sie stattdessen mit einem Stift ausgerüstet. Aber die Zeiten änderten sich und die Menschen mit ihr.
    Auch er hatte sich in diesen Monaten verändert und seine anfängliche Befangenheit überwunden. Anfangs hatte er seinen Blick nur rasch und wie versehentlich über ihre Brust und Scham huschen lassen. In der Endphase war sein Blick erotisch aufgeladen und jeder Schweißtropfen auf der Krönung ihres Venushügels ein wichtiges Detail.
    Seine Verwandlung konnte ihr nicht entgangen sein, außerdem musste sie sie rein intellektuell vorhergesehen haben.
    Als sie ihren Freunden die gesamte Serie präsentierten, reagierten diese genauso begeistert, wie Margie und ­Sverre gehofft hatten. Film- und Porträtkunst auf diese Weise zu kombinieren war zweifellos genial, das musste sogar der Kunstkritiker Clive zugeben. Wobei er brummend hinzufügte, die Zeit sei noch nicht reif, die Bilderfolge öffentlich vorzuführen. Jedenfalls nicht in England. In Frankreich sei das natürlich etwas ganz anderes.
    Nur ein Einwand wurde ausgesprochen, und zwar von Vanessa, die garantiert keine Hand zeichnen konnte. Sie fand die Bilder zu realistisch, zu fotografisch, obwohl sie technisch natürlich verdammt geschickt ausgeführt seien.
    An dem letzten, provokantesten Bild musste Sverre noch ein wenig feilen, ehe er die Serie als abgeschlossen betrachten und sich wieder den Männerkörpern zuwenden konnte. Er konnte nicht in Worte fassen, was genau noch fehlte, da es sich mehr um ein Empfinden handelte. Margie nahm ihre Position wieder ein, aber ihre Ungeduld war ihr anzumerken.
    Plötzlich setzte sie sich auf, drückte ihre Zigarette in dem bereits übervollen Aschenbecher aus und sah Sverre direkt in die Augen.
    Rückblickend hatte er das Gefühl, bereits da gewusst zu haben, was sie sagen wollte.
    »Ich bin es verdammt leid, immer noch Unschuld zu sein. Könntest du, liebster Sverre, da nicht Abhilfe schaffen?«
    Worum Margie ihn in perfektem Englisch bat, in dem sogar ihre Flüche hübsch klangen, hatte er in seiner Fantasie längst getan. Aber das war etwas ganz anderes.
    »Ich will Albie nicht betrügen«, erwiderte er schließlich.
    »Jetzt sei nicht kindisch, mein lieber Sverre! Dieses Thema haben wir im Donnerstagsclub hundertmal und mehr erörtert. Ganz abgesehen davon, dass kein Mensch den Körper eines anderen besitzt und so weiter. Würdest du mit einem anderen Mann schlafen, wärst du Albie vielleicht untreu, aber nicht, wenn du mit mir schläfst. Das ist etwas ganz anderes.«
    Sverre hatte keine Ahnung, wie er dieses Angebot oder diesen Freundschaftsdienst ausschlagen sollte, oder ob er es überhaupt wollte.
    »Aber ich bin doch selber noch Unschuld …«, versuchte er sich aus der Affäre zu ziehen.
    Sie lachte nur perlend, sprang auf, umarmte ihn und küsste ihn innigst.

V – Der verlorene Sohn
    Norwegen, Sommer 1907
    Er hatte sich Norwegen wie ein Miniaturland am Rande des Kontinents vorgestellt oder wie ein Märchenland, Transsylvanien ähnlich, mit schwarzen Wäldern voller Werwölfe und anderer übernatürlicher Wesen.
    In diesem Augenblick, angesichts der schwindelerregenden Aussicht auf eine unendliche, alpin-öde Landschaft, stimmte dieses Bild nicht. Und doch hatte es gewissermaßen in einem Miniaturland begonnen, als

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