Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
aufgezogen hatten.«
Maria schluckt ihre Tränen herunter. »Dafür werde ich Sie umbringen.«
»Ja, du Mörderin. Ich bin sicher, dass du das tätest, wenn du eine Gelegenheit dazu hättest. Auch deshalb wollte ich dich am Leben lassen, weil du aus demselben Holz geschnitzt bist wie ich.«
»Das stimmt nicht.«
»Aber ja, Maria. Seit Menschengedenken haben nur zwei Personen es geschafft, aus den Zellen von Seboomook zu entkommen: du und ich. Ich war vierzehn Jahre alt. Mein Großvater war längst reif fürs Irrenhaus und verbrachte den größten Teil seiner Zeit damit, die Unglückseligen, die er in den Wäldern in seine Gewalt brachte, bei lebendem Leibe zu häuten. An meinem Geburtstag hat er mich gezwungen, zum ersten Mal einen Menschen zu zerstückeln, einen Zeltwanderer von etwa dreißig Jahren, den er mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt hatte. In der Nacht hat er mich dann in einer Zelle da unten eingesperrt. Da mir klar war, dass die Reihe bald an mir sein würde, habe ich das Schloss mit einem Dietrich geöffnet und dem alten Schweinehund im Schlaf eins auf die Rübe gegeben. Als er wieder zu sich gekommen ist, war er auf einem der Zerwirktische festgebunden. Sein Sterben hat über vier Stunden gedauert. Und weißt du was?«
»Ich will es nicht wissen.«
»Ich sage es dir trotzdem. Während ich ihn in Stücke geschnitten habe und sein Blut in Strömen über den Tisch gelaufen ist, hat er mir vorausgesagt, dass ich in Seboomook bleiben und sein Werk fortsetzen würde. Er hatte recht.«
Wieder überläuft ein Schauer Maria. Sie hat gemerkt,
dass Daddys Stimme angefangen hat, zu stocken und zu zittern. Das Gift wirkt. Sein Atem geht schwer. Er spricht immer langsamer. Er hustet zum Steinerweichen. Es gelingt Maria, die Augen ein wenig zu öffnen. Daddy sitzt starr in seinem Sessel. Die Blutflecken auf seinem Kinn stechen scharf von seinem bleichen Gesicht ab. Sein Atem geht immer schwerer. Er sieht zu Maria her. Dann bricht sein Blick. Seine Brust hört auf, sich zu heben und zu senken.
9
Maria weiß nicht, wie lange Daddy bereits tot ist. Eingekeilt zwischen der Wirklichkeit und ihrer Vision hört sie die tiefe Stille, die sich über die Villa gelegt hat. Sie versucht, sich zu konzentrieren. Es kommt ihr vor, als habe sie etwas Wichtiges vergessen.
Ein Name treibt durch ihre Gedanken. Es ist der Name des Offiziers, der die Polizeieinheit draußen befehligt. Sie erinnert sich daran, dass er auf ihr Signal wartet, um das Haus stürmen zu können. Sie hatte erklärt, sie müsse unbedingt ein Geständnis haben. Der Mann hatte ihr zu verstehen gegeben, dass er begriffen hatte. Ein ordentlicher, anständiger und mutiger Mann. Jemand, der bereit war, einige Stunden lang auf das vereinbarte Zeichen zu warten.
Maria kann nicht mehr. Sie spürt, wie sich das Gift, das ihr Blut gerinnen lässt, in ihrem Körper ausbreitet. Beine und Unterleib sind bereits starr. Sie schickt eine so starke telepathische Botschaft in alle Richtungen aus, dass ihr der Schmerz fast den Kopf sprengt. Darin teilt sie mit, dass sie Maria Megan Parks heißt, Beamtin des FBI ist und in einer Villa auf den Höhen von Rio gefangen gehalten wird. Sie fügt hinzu, dass man sie vergiftet hat und sie sich nicht bewegen kann. Sie fleht jeden, der die Botschaft aufnimmt,
an, so schnell wie möglich eine beliebige Polizeidienststelle in der Stadt zu alarmieren.
In den Tiefen ihres Gehirns nimmt sie mehrere Stimmen gleichzeitig wahr, ähnlich wie früher, wenn sie als kleines Mädchen aus Schabernack sämtliche Klingelknöpfe an der Sprechanlage eines großen Mietshauses drückte. Die Stimmen wollen, dass sie sich meldet. Unermüdlich wiederholt sie ihre Botschaft. Sie hört, wie Telefone ihren Hilferuf weiterleiten. Mit der Zeit schält sich eine Stimme deutlicher als die anderen heraus. Sie heißt Esperanza. Ein echtes Medium. Sie hat begriffen. Sie flüstert Maria zu, dass Hilfe unterwegs ist. Aus der Ferne hört sie wuchtige Schläge. Jemand bricht die Türen auf. Esperanza fragt, in welchem Zimmer sie sich befindet. Maria begreift, dass das Medium die Polizei über das Telefon zu ihr führt. Weitere dumpfe Schläge ertönen, diesmal an der Tür des Sprechzimmers. Dann Schritte. Undeutlich nimmt sie wahr, wie sich der Schatten eines Polizeibeamten über sie beugt und etwas Unverständliches sagt. Esperanza will wissen, womit man sie vergiftet hat. Ein Gift aus dem Amazonas-Gebiet ist alles, was sie weiß. Der Beamte gibt den
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