Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
Rettungssanitätern, die hereinkommen, eine Anweisung. Maria spürt, wie ihr Unterarm abgebunden wird. Eine Injektionsnadel dringt in ihre Haut. Esperanza erklärt ihr, dass man ihr einen Cocktail aus Mitteln gegen alle bekannten Gifte aus dem Amazonas-Gebiet spritzt. Es kostet sie Mühe, ihr zu danken. Esperanza fordert sie auf, weiter mit ihr zu reden, aber Maria ist mit ihrer Kraft am Ende. Sie friert entsetzlich. Die telepathische Botschaft wird immer schwächer, während sich die Finsternis um sie herum schließt.
TEIL ZWEI
DAS UNWETTER
1
New Orleans
Während sich Debbie Cole mit ihren alten Händen am rauen Holz des Geländers entlangtastet, beugt sie sich über das glitzernde Wasser des Mississippi. Die Strömung, die seine Oberfläche kräuselt, hinterlässt im Abenddämmer silbrige Spuren. Um diese Stunde fliegen Stechmücken und Libellen auf der Suche nach Abkühlung dicht über dem Wasser. Ein wie ein Stein vom Himmel herabstürzender Pelikan schlägt die heiße Luft mit seinen Flügeln, während er mit halb geöffnetem Schnabel das Wasser durchfurcht und einen riesigen Wels herausholt, den seine blitzenden Schuppen verraten haben. Debbie Cole sieht zu, wie der Vogel mit schwerem Flügelschlag wieder zum blauen Himmel aufsteigt und dabei den Hals dreht und wendet, um die Beute zu verschlingen. Der große Kreislauf. Sterben, um Leben zu erhalten. So hatte es die göttliche Erdmutter Gäa in ihrer unendlichen Weisheit gewollt.
Während die Alte mit den Augen dem Flug einer Libelle folgt, richtet sie ihren Blick wieder auf den Fluss. Der Vater aller Ströme. Seit Anbeginn der Welt nährt er die Mutter Erde, macht die Täler fruchtbar und ermöglicht den Menschen, sich zu ernähren. Hier endet er. Nach dreitausendfünfhundert Kilometern heftigen Strömens und gewaltiger Mäander durch die Vereinigten Staaten verliert er sich in zahlreichen Brackwasserarmen, in Sumpfgebieten voll knotiger Wurzeln, deren trügerischer Boden süßlich
nach Fäulnis riecht. Das Bayou. Doch bevor sich der Vater aller Ströme mit dem Meer vereinigt, glättet er bei New Orleans seinen Lauf, wobei er das letzte Heiligtum durchfließt. Dort hat die alte Debbie eine Verabredung, nach der sie sich schon lange gesehnt hat. Wie jedes Mal, wenn sich die Abkömmlinge aus Gäas Geschlecht unter größter Geheimhaltung treffen müssen, hat man sie als Kundschafterin vorausgeschickt.
Sie atmet die schwere Luft ein, die vom Fluss aufsteigt. Sie riecht nach Vanille, Zimt und Zucker, aber auch nach Umweltschmutz. Nichts weist auf den Erzfeind hin. Dennoch ist sie nicht beruhigt. Sie schließt die Augen und atmet tiefer ein. Inmitten der Gerüche, die über der Stadt liegen, dem Abgasgestank und der verbrauchten Abluft aus den Klimaanlagen tritt eine flüssig-salzige Note immer deutlicher hervor: der Geruch nach Ozean, glühender Hitze und Wind. Das gewaltige Unwetter nähert sich. Vier Tage zuvor ist der Zyklon auf Höhe der Bahamas entstanden, rückt jetzt langsam über dem Atlantik heran und nimmt an Heftigkeit zu, während er über den warmen Strom im Golf von Mexiko dahinzieht.
Anfangs waren es nur einige leichte Wellen, die das Wasser in der Tiefe kaum wahrnehmbar bewegten, doch nach wenigen Tagen ist daraus ein Ungeheuer geworden, eine Spirale der Wut, die in der Masse des Ozeans Wellenberge von zwanzig Metern Höhe aufgetürmt hat, ein heulendes Untier, das schon bald Wassermauern gegen das letzte verbliebene große Heiligtum schleudern wird.
Zitternd merkt Debbie, dass sich ihre Vorhersage zu bewahrheiten beginnt. Sie weiß, dass die Schutzdeiche der Stadt nicht standhalten werden. Sie sieht vor sich, wie der Ozean seine Wassermassen mit denen des Pontchartrain-Sees vermengt, sieht überflutete Straßen und davongerissene Häuser. Leichen treiben inmitten von Plastiktüten und
dem aus übergelaufenen Abwasserleitungen emporgestiegenen Unrat. In endlosen Autoschlangen versuchen Menschen zu fliehen. Tausende, die in der Stadt gefangen sind, drängen sich in einem überdachten Stadion. Ein kleines Mädchen hält sich inmitten der Flüchtlingsmenge auf. Sie hat Angst. Der Regen prasselt auf die Riesenkuppel des Stadions. Der Wind pfeift. Debbies Hände krallen sich ans Geländer. Durch die Menge drängen sich schnüffelnde Gestalten, die das Mädchen suchen. Ein anderer Umriss zeichnet sich ab. Eine brünette junge Frau. Sie ist bewaffnet. Sie schließt das Mädchen in die Arme und flieht mit ihr. Ihre neue Mutter.
Debbie fährt
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