Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
friedlich. Kurz vor dem Einschlafen wirft sie einen letzten Blick auf Walls, der die Straße beobachtet. Einen kurzen Augenblick lang fragt sie sich, ob sie einem Unbekannten vertrauen kann, der selbst eine Art Mutant ist. Dann schließt sie die Augen und gleitet sacht in den Schlaf.
2
Schon seit einigen Minuten beobachtet Stuart Crossman eine Wespe, die unablässig gegen die Scheiben des Oval Office fliegt. Die Männer, die auf den Präsidenten warten, mustern einander unauffällig. Anwesend sind außer dem Direktor der CIA und dem Leiter der nationalen Sicherheitsbehörde NSA auch hohe Militärs aus dem Pentagon. Sie sitzen abgesondert von den anderen in einer eigenen Sesselreihe: Admiral Howard Preston, Oberkommandierender der Seestreitkräfte, General Douglas Hollander, Leiter der militärischen Geheimdienste und der Sondereinheiten des Heeres. Ihnen gegenüber studieren der Verteidigungsminister und eine Handvoll Präsidentenberater ihre Akten. Außer den Letztgenannten stehen sie alle in Konkurrenz zueinander. Sie lächeln sich zu, obwohl keiner den anderen ausstehen kann. Sie geben sich die größte Mühe, nicht nervös zu erscheinen.
Crossman sieht auf seine Uhr. Vor einigen Minuten ist die Präsidentenmaschine Air Force One auf dem Militärflughafen von Washington gelandet. Jetzt hört er den Hubschrauber des Präsidenten, der auf dem Rasen vor dem Weißen Haus niedergegangen ist. In wenigen Sekunden wird der oberste Befehlshaber eintreten. Als sein Mobiltelefon vibriert, hält Crossman es ans Ohr und lässt sich den jüngsten Lagebericht seiner Leute durchgeben. Mehrere Male hebt er den Kopf, dann beendet er das Gespräch und tut so, als sehe er die auf ihn gerichteten hassvollen Blicke nicht. Es ärgert die anderen, dass ausgerechnet der Direktor des FBI die Bedrohung aufgedeckt hat. Prüfend mustert Crossman den Quadratschädel von General Hollander. Der Mann ist ein aus Marmor gehauenes Überbleibsel des Kalten Krieges und träumt jede Nacht davon,
dass ein Hagel amerikanischer Raketen über Russland, China, Korea oder allen dreien niedergeht. Das hält ihn am Leben. Gern erinnert er sich an die Kuba-Krise unter Präsident Kennedy. Damals war er Major und einer von denen, die darauf drängten, sogleich Moskau und Havanna mit Atombomben zu belegen. Der alte Hollander sieht zu Crossman hin, wie man ein heißes Würstchen ansieht, bevor man hineinbeißt. Gerade will er etwas hervorbellen, als sich die Tür öffnet und der Präsident eintritt. Alle im Raum erheben sich. Der Präsident sieht auf die Uhr, die auf einem Couchtisch steht.
»Meine Herren, es ist fünfzehn Uhr. Spätestens in einer halben Stunde möchte ich ein genaues Bild von der Situation haben.«
Die Männer sehen einander an. Crossman hat alle Informationen für sich behalten und nur gesagt, was unbedingt nötig war, damit die Sitzung einberufen werden konnte. Das war der Grund, warum die Berater fieberhaft in ihren Unterlagen gelesen haben, weil sie hofften, aus dem Wenigen, das ihnen der Direktor der Bundespolizei mitgeteilt hatte, herauslesen zu können, was sie wissen müssen.
»Schon eine Minute nach fünfzehn Uhr?«
Alle Blicke richten sich auf Crossman, der ein Lächeln unterdrückt. Noch nie im Leben hatte er den Eindruck, so sehr gehasst zu werden. Er entschlüsselt rasch die letzten Informationen, die ihm seine Leute übermittelt haben, räuspert sich und sagt dann zum Präsidenten gewandt: »Meine Beamten haben gestern im Kofferraum eines Wagens auf dem Parkplatz des Flugha fens von Jackson einen fest eingebauten plombierten Kleintresor mit neunundzwanzig leeren und einem gefüllten Metallyzlinder entdeckt. Um das Fahrzeug herum lagen vier männliche Leichen. Wie sich herausgestellt hat, waren diese Männer
kurz zuvor einer wie der andere von einer langen Reise durch ganz Südamerika und Australien zurückgekehrt. Wir haben überdies rund dreißig ähnliche Reiserouten von angeblichen Geschäftsleuten ermittelt, die in den meisten Großstädten der Welt Zwischenaufenthalte eingelegt haben – kurze, weil sie es eilig hatten, wie sie als Begründung angaben.«
»Was war in den Zylindern?«
»Die endgültigen Ergebnisse der Analyse stehen noch aus, doch was wir bisher wissen, ist beunruhigend genug. Es handelt sich um einen Erreger, der auf den ersten Blick wie ein Grippevirus vom Typ HxNx aussieht, allerdings mit einer abweichenden DNA-Kodierung. Auf jeden Fall haben wir es hier zweifellos mit einer Mutation zu
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