Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
verstreuen.«
»Außer wenn ich zusätzlich die Macht der Verehrungswürdigen Mütter besitze, die auf dem Weg hierher sind.«
Debbie streichelt Ayou und überträgt unauffällig einen Teil ihrer Kräfte auf sein Gehirn. Jetzt ist er vollständig entspannt, hat keine Angst mehr.
Inzwischen steht der Obdachlose nur noch wenige Schritte von ihr entfernt. Er macht der Frau mit dem Einkaufswagen ein Zeichen. Er merkt, dass etwas geschehen wird. Debbie sieht, dass ihm Blutfäden aus Nase und Ohren laufen. Für einen so stark geschädigten Geist wie den seinen ist der Druck, den der Erzfeind ausübt, viel zu stark. Der Obdachlose würgt und spuckt einen rötlichen
Schleim aus, in dem Bruchstücke von Zähnen zu sehen sind.
»Übertragt mir Eure Macht, und ich verspreche Euch, dass Ihr nicht leiden werdet.«
»Gäa ist die Ewige. Die Ewige ist in mir. Nichts stirbt je in Gäa oder geht zu Ende, denn in ihr ruft jeder Tod neues Leben hervor. Jedes Ende ist nichts als der Abschluss von etwas Vorhergehendem. Jeder Abschluss ist der Beginn von etwas, das ihm folgt.«
Debbie sieht den Obdachlosen durch die gelben Augen des Katers an. Sie spürt, wie ihre Hand sein Fell streichelt. Die Moleküle, aus denen ihr Körper besteht, lösen sich auf. Der Obdachlose schreit etwas. Sie spürt, wie ihre Hände zerfasern und ihre Arme verwehen. Dann verwandelt sich der übrige Leib in eine unsichtbare Wolke. Während ihr leeres Kleid langsam zu Boden sinkt, macht sie einen Satz auf einen Kistenstapel und klettert von dort auf die Dächer, ohne auf die Wutschreie zu achten, welche die Gasse erfüllen.
6
Ayou fühlt sich elend. Er blutet. Die Blutgefäße seiner Hirnhaut pulsen und dehnen sich aus. Der Tod ist nicht fern. Trotzdem springt der Kater weiter von Dach zu Dach. Er spürt den Geist der Alten in seinem Gehirn. Ihm ist bewusst, dass dieser auf keinen Fall dem Erzfeind in die Hände fallen darf. Er wendet den Kopf. Die Wesen, die ihn verfolgen, kommen immer näher. Sie sehen aus wie Katzen. Es waren auch Katzen, bevor sich der Erzfeind ihrer Gehirne bemächtigt hat. Blutende Geschwülste sitzen dicht an dicht auf ihrem Fell und hinterlassen eine Spur, die aussieht wie rötlicher Urin. Als sie nach rund hundert Metern tot
zu Boden sinken, treten sogleich andere an ihre Stelle. Sie kommen aus Fenstern und Kellerlöchern. Das Übel breitet sich von einer Katze zur anderen aus und erfasst auch die Ratten, die aus der Kanalisation quellen und an den Wänden emporklettern, um auf die Dächer zu gelangen. Mit kräftigen Muskeln stürmt das quietschende und miauende Heer über die Dachziegel. Sie alle sind blind und lassen sich ausschließlich von ihrem Geruchssinn leiten.
Der Regen trommelt auf das Wellblech. Ayou empfindet die kühlen Tropfen auf seinem Fell als angenehm. Trotz seiner Erschöpfung gibt er nicht auf. In der Ferne zeichnen sich die Umrisse des Einkaufszentrums ab. Dorthin will er. Zuvor aber muss er sich seiner Verfolger entledigen. Ein erleichtertes Miauen kommt aus seiner Kehle: Der Geist der Alten erwacht aus seiner Benommenheit. Sie schickt eine Botschaft, die den Ratten Angst macht und die Katzen rasenden Hunger empfinden lässt. Ein Konzert aus Quietschen und wütendem Fauchen antwortet ihr. Ayou sieht sich um: Die Katzenwesen haben sich auf die Rattenwesen gestürzt. Ihre scharfen Zähne zerfetzen die Haut der Nagetiere und lassen den Inhalt der Geschwülste austreten. Ayou läuft schneller. Er spürt, wie eine kräftige Ader in seinem Gehirn immer mehr anschwillt. Falls sie platzt, muss die Alte mit ihm sterben, das ist ihm klar. Er läuft so schnell er kann, läuft, wie er noch nie gelaufen ist und nie wieder laufen wird. Der letzte Streifzug des Katers Ayou. Die Auslagen des Einkaufszentrums kommen näher. Im dritten Stock sieht er hinter den vom Regen gepeitschten großen Fenstern, wie ein Mädchen die Hände an die Scheibe presst und sich die Nase daran platt drückt. Ayou mag kleine Mädchen. Er läuft schneller.
7
Ayou ist am Ende seiner Kräfte. Immer wieder muss er die Augen vor dem grellen Licht der Leuchtstoffröhren schließen. Jetzt läuft er über nasse Gehwege. Noch eine Straße gilt es zu überqueren. Touristen und Stadtbewohner stehen Schlange vor dem Einkaufszentrum, in dem sich die einen vor den unaufhörlichen Regenfluten flüchten, die anderen letzte Besorgungen erledigen wollen, bevor das Unwetter richtig losbricht. Rasch noch einen Einkauf tätigen, bevor sie in die letzten Flugzeuge
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