Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
absolute Leere. In der Ferne sieht sie ein riesiges Einkaufszentrum, das auf blitzenden Schaufensterscheiben eine Fülle von Sonderangeboten anpreist. Dorthin streben die Touristen, seit der große Regen droht. Debbie hat sich entschieden. Sie wird bis dorthin gehen und umkehren, sollte sich bis dahin nichts gezeigt haben.
Windstöße treiben winzige Steinchen vor sich her, die ihre Fußknöchel peitschen. In Keilform zieht eine Formation Pelikane dicht geschlossen unter der Wolkendecke vorüber. Der Vogel an der Spitze wendet den Kopf in ihre Richtung und stößt einen langen rauen Schrei aus. Debbie bleibt wie starr stehen. Es kommt ihr vor, als sei dieser Schrei ein Signal. Genau genommen ist sie sich dessen sogar sicher.
Jetzt ist sie ganz in der Nähe der Bourbon Street angekommen. Dort, wo vorhin die Prozession entlanggezogen ist, spielt nun eine Gruppe Musiker. Der Wind wirft den Klang ihrer Trommeln und Trompeten von den Mauern der Kathedrale zurück. Konfetti wirbeln in der kalten Luft umher. Debbies Augen quellen förmlich hervor. In der Luft schwebt noch mehr. Tausende von bunten Flügeln landen auf dem Boden. Ein Schauer von Schmetterlingen. Das Herz der Alten beginnt, heftiger zu schlagen. Sie geht jetzt über einen dicken Teppich, der unter ihren Füßen knirscht. Sie versucht sich einzureden, dass die Tiere durch das Gewitter die Orientierung verloren haben und die Magnetfelder schuld an ihrem Tod sind. Sie sendet eine kurze Botschaft an die Hüter. Keine Antwort. Dann
erstarrt sie, so, wie sie da auf ihren Stock gestützt steht. Inmitten des Schmetterlingsfriedhofs sieht sie an der Ecke der Bourbon Street eine Gruppe Obdachloser. Sie trinken und unterhalten sich laut miteinander. Einer von ihnen, ein hochgewachsener bärtiger Mann hebt seine Flasche und lächelt in ihre Richtung.
Sie setzt ihren Weg fort. Jetzt befindet sie sich in einem Gewirr kleiner Gässchen. Der Geruch nach Marshmallows und scharf gewürzten Gerichten dringt aus den halb offenen Fenstern. Die Häuser stehen so dicht beieinander, dass es ihr vorkommt, als gehe sie durch einen Tunnel.
Während sie nach links in eine etwas breitere Straße einbiegt, fährt sie zusammen. Sie spürt etwas Weiches an ihren Knöcheln, sieht nach unten und erkennt die wilden Augen Ayous, der sich an sie drängt und schnurrt. Aus seinem Maul steigt der Geruch nach Sardine auf. Sie nimmt den Kater in die Arme und fährt mit den Fingern durch sein staubbedecktes Fell.
»Na, du Strolch, wo warst du?«
Ein Grollen dringt aus der Kehle des Tieres. Seine Haare stellen sich auf, die Muskeln spannen sich an. Kein Lebewesen nimmt die Anwesenheit des Erzfeindes deutlicher wahr als eine Katze. Debbie wendet den Kopf. Das Blut erstarrt ihr in den Adern. Der hochgewachsene Obdachlose aus der Bourbon Street ist ihr gefolgt. Er ist ihr ganz nahe. Sie sieht, dass er völlig verdreckt ist. Er setzt seine Ginflasche an den Mund, wobei ihm ein Teil der Flüssigkeit durch die Barthaare rinnt. Langsam lässt er die Flasche sinken. Sein Lächeln legt das schmutzige Rosa seines Zahnfleisches bloß und zeigt einige seiner vom Tabak geschwärzten Zähne.
»Schöner Abend, Mutter Cole.«
Ayou faucht. Seine Krallen dringen Debbie in den Arm. Sie dreht sich erneut um. Eine korpulente Stadtstreicherin
in einem schmutzigen orangefarbenen Anorak, die einen Einkaufswagen schiebt, versperrt die Gasse. Die Krampfadern auf ihren Waden sind zum Teil offen und bilden große eitrige Wunden auf dem weichen Fleisch. Entlang der Gasse kommen hinter ihr weitere Obdachlose aus Hauseingängen wie auch aus großen Kartons, in denen sie nachts schlafen. Debbie versteht nicht, auf welche Weise es dem Erzfeind gelungen sein könnte, mitten im Herzen eines Heiligtums so viele Geister unter seine Macht zu bringen. Ayou knurrt. Er weiß, was die Alte von ihm erwartet. Er ist bereit. Debbie lässt ihren Stock los. Er fällt in den Staub. Mit quietschenden Rädern nähert sich der Einkaufswagen. Sie sieht den Anführer der Obdachlosen auf sich zuhinken. In seiner Hand blitzt eine gebogene Klinge. Debbie zittert, als sie sieht, dass ihm eine Hornisse aus dem Mund kommt und ruhig auf seinen Lippen sitzen bleibt. Inmitten der Windstöße ertönt die Stimme des Mannes erneut: »Es ist Zeit zu sterben, Mutter Cole. Aber vorher sollt Ihr mir selbst Eure Macht übergeben.«
»Die würde Euch verbrennen. Sie würde Euch verzehren, und der Wind würde Eure Asche in alle Himmelsrichtungen
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