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Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie

Titel: Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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ausdrücklichen Befehl dazu gebe. Wir fassen sie mit Samthandschuhen an.«
    »Das ist äußerst riskant.«
    »Riskanter, als ein Kind umzubringen, indem man in die Reifen eines Motorrads schießt, das über hundertfünfzig drauf hat?«
    Ohne auf eine Antwort zu warten, beendet Crossman das Gespräch, tippt dem Piloten auf die Schulter und gibt
ihm die Richtung an, die er einschlagen soll. Sie haben Des Moines überflogen. Jetzt liegt das graue Band der Fernstraße 35 vor ihnen.
    »Höher und schneller, zum Kuckuck!«
    Crossman richtet sein Fernglas auf die leere Schnellstraße und sucht sie Kilometer für Kilometer aufmerksam ab. Als er einen glänzenden Punkt entdeckt, der auf der mittleren Spur dahinbraust, umklammern seine Finger die Gummiarmierung fester. Der Autofokus erfasst das Motorrad. Crossman sieht Marias Haare, die im Wind flattern. Seine Kehle schnürt sich zusammen. Maria scheint glücklich zu sein.

8
    Maria hat die Vororte von Minneapolis erreicht. Ein einziges Mal hat sie hinter der Grenze zum Staat Minnesota auf einem Rastplatz angehalten und dort mithilfe der Elektrokabel die Metalldosen miteinander verbunden und sich das Ganze mit Iso lierband um die Taille befestigt. Sie hat die Dioden und die Batterien kontrolliert und ist dann weitergefahren.
    Jetzt kommt sie am Abzweig Prior Lake vorüber. Seit einigen Kilometern hat Hollys Zustand angefangen, sich zu verschlimmern. Der Impuls, den Holly an der Straßensperre hinter Des Moines hatte aussenden müssen, damit man Maria durchließ, hatte ihre letzten Kräfte aufgezehrt. Außerdem entwickeln sich die Krebsgeschwülste, das weiß Maria, mit rasender Geschwindigkeit weiter.
    Als sie die ersten Wegweiser zur Stadtmitte sieht, würde sie am liebsten gleich bis zum Quellen-Heiligtum weiterfahren, fürchtet aber, dass Holly nicht durchhalten wird. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Gordon fehlt ihr. Sie
lässt allmählich den Gedanken zu, dass er tot ist und das, was an Macht noch geblieben ist, in dem Maße dahinschwindet, in dem Holly schwächer wird.
    Sie sieht die Schilder, die auf die Fernstraße 494 Richtung Westen zeigen. Saint Cloud, Fargo und die Quellen des Mississippi. Sie wartet auf ein Zeichen Hollys, aber das Mädchen reagiert nicht mehr. Daher verlässt Maria die Schnellstraße und fährt durch die Chicago Avenue zur Kinderklinik von Minneapolis, dem Abbott Northwestern Hospital. Einen Augenblick lang bleibt sie stehen, um sich umzusehen. Nichts Auffälliges. Der Parkplatz ist voller Fahrzeuge. Obwohl die Geißel noch nicht bis hierher gekommen ist, stehen in allen Krankenhäusern der Stadt Menschen vor der Notaufnahme Schlange. Maria fährt zum Haupteingang, bockt die Maschine auf und zieht den Zündschlüssel ab. Sie kann Hollys Puls kaum noch tasten. Über eine Treppe eilt sie zur Pforte. Auch dort ist der Warteraum zum Bersten voll.
    Maria bleibt stehen. Mit zitternden Lippen ruft sie, dass sie Hilfe brauche, weil ihre Tochter im Sterben liege. Die Menschen drehen sich um und sehen zu ihr her. Durch den Tränenschleier vor ihren Augen erkennt sie, dass Ärzte und Pfleger herbeieilen. Hände schließen sich um ihre, ferne Stimmen sagen leise, sie müsse das Kind loslassen. Sie sieht, wie Unbekannte im weißen Kittel Holly auf eine Trage legen und fortbringen. Maria streckt flehend die Arme aus. Sie hat den Eindruck, ersticken zu müssen. Sie fällt auf die Knie. Arme legen sich um sie, Stimmen reden auf sie ein. Sie hört nicht, was sie sagen, vergräbt ihr Gesicht in den Händen und gibt sich ihrem Schmerz hin.

9
    Maria beißt sich auf die Unterlippe, um nicht wieder einzuschlafen. Seit über zwei Stunden sitzt sie im Wartezimmer inmitten eines Gewimmels von Menschen. Mechanisch hat sie ein Formular ausgefüllt und ihren eigenen Familiennamen, ihre eigene Sozialversicherungsnummer und Krankenversicherung angegeben. Sie macht sich keine Illusionen und weiß, dass ihr die Bundespolizei auf die Spur kommen wird, doch im Augenblick ist ihr das gleichgültig. Sie wartet wie alle. Ein einziges Mal hat sich ein Arzt bei ihr gemeldet, um zu erklären, dass man trotz gründlicher Untersuchung ratlos sei, weil man nicht wisse, was ihre Tochter habe. Sie sieht erst auf die Uhr an der Wand und dann auf ihre Armbanduhr. Sie geht fünf Minuten nach – oder die verdammte Wanduhr geht vor. Als sie aufstehen will, um sich am Automaten einen Becher Kaffee zu holen, fällt ihr auf, dass eine junge Frau mit einer blitzschnellen und genau kalkulierten

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