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Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie

Titel: Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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dass das nicht stimmt. Sie sind noch hier, jedenfalls die Erinnerung an sie.«

6
    Maria nimmt ihren Koffer aus dem Wagen. Wie jedes Mal bei einer längeren Abwesenheit hatte sich der alte Yankee Cayley um das Haus gekümmert und einige zerbrochene Dachziegel ersetzt. Bei der Gelegenheit hat er auch das welke Laub auf dem Weg zusammengerecht und mit dem Laubbläser die Blätter unter den Ilexbüschen hervorgeholt, die sich da gesammelt hatten. Außerdem hat er ihr zwei Flaschen Gas sowie einiges an haltbaren Lebensmitteln unter die Veranda gestellt. Belustigt mustert sie, was der Alte eingekauft hat: zwei Flaschen H-Milch, Haferflocken, Kelloggs Cornflakes, zwei Flaschen Gin, eine Flasche Bourbon, geröstete Pistazien, ein Sechserpack Bier und eine weitere Cola. Lächelnd nimmt sie ihre Hausschlüssel aus der Tasche: Cayley hat recht, wenn er sagt, dass Menschen, die ihren Whisky in Cola ersäufen, den Strang verdient haben.
    Quietschend öffnet sich das Schloss. Drinnen riecht es nach Holzleim, Wachs und Staub. Weiße Laken bedecken die Möbel. Maria stellt die Einkäufe des alten Cayley auf den Dielentisch und geht in den Keller, um den Strom einzuschalten. Auf der Treppe riecht es nach Salpeter und Insektengift. Mit den Händen zerteilt sie die Spinnweben, die ihr im Weg sind, und tastet hinter einem Flaschenständer nach dem Hauptschalter. Als die nackte Glühbirne an der Decke aufleuchtet und die Tiefkühltruhe summend ihre
Arbeit aufnimmt, fährt Maria zusammen, weil hinter ihr Harry Belafontes Stimme ertönt. Da hat sie wohl wieder einmal vergessen, vor der Abfahrt den Radiowecker abzustellen. Mit angehaltenem Atem hört sie, wie das Haus aus dem Schlaf erwacht. Ein Knistern und Knacken durchläuft die Wände, als wenn sich jedes einzelne Zimmer dehnte und reckte, während der Strom wieder durch die Leitungen läuft. Maria stößt einen Schrei aus, als sie spürt, wie etwas Haariges ihre Hand berührt. Hastig nimmt sie die Hand vom Schalter neben dem Zählerkasten und sieht, wie das Tier in einem finsteren Loch verschwindet. Unwillkürlich zittert sie. Dann hockt sie sich vor den Brenner ihrer alten Heizung und drückt mehrfach auf den Zündknopf. Schließlich kommt ein blaues Flämmchen zum Vorschein und tanzt wie eine tote Seele umher. Mit einem lauten »Wuff« springt der Brenner an. Während sich das Gas darin ringsum entzündet, streicht warme Luft über ihre Haare. Die Pumpe setzt ein. Man könnte glauben, dass es dem Haus gefällt, wenn das heiße Wasser erneut durch seine gusseisernen Adern strömt. Bei jeder Rückkehr nach einer längeren Abwesenheit ist der Ablauf derselbe. Es ist eine Art Pakt mit dem Haus, der dazu dient, die blutverschmierten Gesichter zu verjagen, die sie in den Spiegeln sieht und die kleinen Krallenhände zu vertreiben, die nach ihr zu greifen versuchen, wenn sie die Schränke öffnet.
    Langsam steigt sie die Treppe empor und verharrt auf der obersten Stufe. Sonderbare Geräusche dringen aus dem Brenner – ein Pfeifen und eine Art Niesen. Man könnte glauben, dass er atmet. Dann ein letztes Klacken. Er ist ausgegangen. Maria hört aus der Ferne, wie im Schlafzimmer der Radiowecker jault. Als Pantoffeln über den Boden schlurfen, zieht sich ihr Unterleib zusammen. Aus der Küche dringen Leichengeruch und Geräusche von Geschirr und Töpfen zu ihr. Der Wasserkessel pfeift. Das Schlurfen
setzt wieder ein, als das Wesen erneut an der Kellertür vorüberkommt, deren Angeln im Luftzug quietschen. Gleich wird sie zufallen. Maria geht hindurch und tritt ins Wohnzimmer. Ihre Augen sind geschlossen. Sie ist nicht bereit, sie zu öffnen. Ein abgestandener Geruch nach Tee mit Zimt mischt sich mit dem nach verwesendem Fleisch. Sie öffnet die Augen und sieht die Leichen von Paul und Janet Parks. Ihr Adoptivvater liegt tief in einen alten Schaukelstuhl gesunken. Mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzt ihre Mutter auf dem Sofa, gießt Tee ein, stellt die Kanne wieder hin und sieht lächelnd zu ihr her, sodass Maria ihr eitriges Zahnfleisch sehen kann.
    »Pst, mein Liebling, Papa ruht sich aus.«
    Maria kniet sich vor den alten Holzofen in der Mitte des Raums. Sie reißt ein Zündholz an, wirft es hinein und hört das Knistern, mit dem sich das Zeitungspapier und das Anmachholz entzünden. Sie nimmt den Geruch nach Schwefel und Tinte wahr, der aus dem Gitter kommt. Das Wesen, das sich aus seinem Sessel erhoben hat, steht jetzt reglos in der Mitte des Raums und fragt mit süßlich-klebriger

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