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Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie

Titel: Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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den Augen angefahren hatte: »Lassen Sie mich sofort los, oder ich bring Sie um.«
    Aber er hatte sie nicht losgelassen, sondern sie an sich gedrückt und ihr Worte gesagt, die sie vergessen hat. Sie erinnert sich lediglich daran, dass es dabei um einen Autounfall ging, um Gott, um Hoffnung und um Licht. Dann war sie hinten in seinen Geländewagen gestiegen, er war in einer Staubwolke angefahren und hatte sie zum Milwaukee Drive gebracht.
    Maria legt die Hand auf den Messingknauf der Tür. Nach der Beisetzung ihrer Adoptiveltern hatte sie Hattiesburg verlassen. Man hatte sie in einem privaten Internat in der Nähe von Boston untergebracht, wo sie sich in die Arbeit geflüchtet und gelernt hatte, bis sie vor Erschöpfung das Bewusstsein verlor. Sie war zwei Jahre früher als üblich auf die Universität übergegangen. Dann war eines Morgens die Depression wie eine Riesenspinne über sie hergefallen. Man hatte sie mit aufgeschnittenen Pulsadern auf ihrem Bett gefunden. Sie hatte einen Abschiedsbrief hinterlassen. Sie sprach mit niemandem mehr ein Wort. Eine Woche später war sie in einer Spezialabteilung des Krankenhauses Green Plains gelandet: ein riesiges Gefängnis mit einem riesigen Park, den riesige Mauern umgaben. Dort waren die Erinnerungen an die Zeit in der Krippe wieder in ihr aufgestiegen. Dort hatte Dr. Moore sie zutage gefördert, um sie desto besser wieder begraben zu können. Allmählich hatte Maria gelernt, ihren Wutanfällen einen
Namen zu geben. Man hatte ihr auch geholfen, sich einzugestehen, dass sie nichts dafürkonnte. Um den anderen zu zeigen, dass sie ganz und gar begriffen hatte, was man von ihr erwartete, war sie dazu übergegangen, sich sterben zu lassen.

10
    Maria sieht erneut den Park von Green Plains vor sich, den künstlichen See mit seinen Zuchtkarpfen, dem ständig kurz gehaltenen Rasen und den summenden Bienen um die Geranienbeete herum. Sie sieht auch die langen verlassenen Korridore vor sich. Sie spürt den kalten Boden unter ihren bloßen Füßen, während sie mit geschlossenen Augen hindurchgeht, wobei sie sich an der Wand entlangtastet. Den ganzen lieben langen Tag hin und her, immer die Hand an der Wand, abwechselnd links und rechts. Sie erinnert sich an den Tag, an dem ihr die Schwestern eine Glukoseinfusion machen mussten. Sie wog nur noch vierzig Kilo. An jenem Abend war Dr. Moore in ihr Zimmer gekommen und hatte sich auf einen rosa Stuhl gesetzt, den sie bei der Arbeitstherapie in der Anstaltswerkstatt angefertigt hatte, wie auch Makrameearbeiten, Aschenbecher aus Salzteig und Halsschmuck im indianischen Stil. Dr. Moore hatte sie einige Sekunden lang scharf angesehen und dann gesagt: »Maria, ich möchte, dass du aufstehst und deinen Morgenrock ausziehst.«
    »Wollen Sie mich vergewaltigen?«
    »Ich vergewaltige keine Gerippe.«
    Er hatte das mit schneidender Stimme und einem Lächeln gesagt, in dem keine Belustigung lag. So war sein Humor beschaffen. Sie zählte schon nicht mehr, wie oft sie versucht hatte, ihm das Gesicht zu zerkratzen oder ihm
einen Aschenbecher an den Kopf zu werfen, und auch nicht, wie oft sie in seinen Armen in Tränen ausgebrochen war. Meist saßen sie stundenlang nebeneinander und sahen einander in die Augen. Nie hatte er sie angeherrscht und nie zu etwas gezwungen. Außer an jenem Abend.
    »Und wenn ich mich weigere?«
    »Dann zieh ich dich selbst aus.«
    »Wenn Sie das tun, verklage ich Sie wegen eines sexuellen Übergriffs.«
    »Menschen wie dir glaubt niemand, Maria. Man hört sich an, was sie zu sagen haben, aber man glaubt ihnen nicht. Das ist das Praktische am Umgang mit Geisteskranken.«
    »Hauen Sie ab!«
    »Regt dich das Wort ›geisteskrank‹ auf? Was wäre dir lieber? Vielleicht übergeschnappt, meschugge, bekloppt? Augenblick, ich weiß noch etwas Besseres. Wie findest du ›kleiner Feigling, der sich der Wirklichkeit nicht stellen will‹?«
    »Verschwinden Sie, verdammter Dreckskerl! Blasen Sie einem Penner auf dem Parkplatz einen und lassen Sie sich dann von Ihrem Hund hinten rein ficken.«
    Das hatte sie ihm an den Kopf geworfen und sich dabei mit Mühe im Bett aufgerichtet. Dann hatte sie ihm ins Gesicht gespien und zugesehen, wie ihm der Speichel über die Wange lief, ohne dass er ihn abzuwischen versuchte. Sie erinnerte sich an die dicken Tränen der Wut, die ihr in den Augen brannten, während sie versuchte, Moores eisigem Blick standzuhalten. Einmal hatte er sie zu ihrem erstaunlichen Erfindungsreichtum auf dem Gebiet von

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