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Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie

Titel: Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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Beschimpfungen beglückwünscht. Es war sogar vorgekommen, dass er die längsten davon aufschrieb, um sie auf keinen Fall zu vergessen. Aber nicht an jenem Abend. Doch wenn Maria es recht bedachte, hatte nicht das sie so sehr bedrückt.
Noch nie hatte er sie in verächtlicher Weise behandelt, herabgesetzt oder gar ›geisteskrank‹ genannt. Während ihr die Tränen aus den Augen schossen, hatte sie geflüstert: »Ich hab Angst.«
    »Ja, Maria, ich weiß, du hast immer Angst. Angst haben ist eine bequeme Lösung. Es gibt dir das Recht, Aschenbecher an die Wände zu schleudern und anderen Menschen ins Gesicht zu spucken. Es gibt dir das Recht, ganz allmählich sterben zu können, ohne an die zu denken, denen du wichtig bist.«
    »Ich habe nichts von Ihnen verlangt. Ich kann Ihnen einen blasen oder mich von Ihnen vögeln lassen, wenn Sie wollen, dass ich Sie für Ihre Mühe belohne. Wollen Sie das? Dass ich Ihnen danke, indem ich Ihnen erlaube, mir Ihr Zeug in den Mund zu spritzen? Ich weiß nicht, ob...«
    Die Ohrfeige hatte wie ein Peitschenhieb geknallt. Sie erinnerte sich, dass ihr Kopf unter dem Aufprall zur Seite geschleudert war, vor allem aber erinnerte sie sich an den Schmerz, der in den Augen des Arztes aufgeblitzt war, unmittelbar bevor er zuschlug.
    »Ja, Angst haben ist bequem. Es gibt dir das Recht, andere zu demütigen, alles um dich herum in Stücke zu schlagen, alles in den Dreck zu ziehen.«
    »Hauen Sie ab!«
    »Erst wenn du aufgestanden bist. Ich will, dass du dich vor dem Spiegel ausziehst und dich ansiehst, wie du bist. Ich möchte, dass du mir sagst, ob dir gefällt, was du da siehst. Dann gehe ich und lasse dich sterben, wenn das wirklich dein Wunsch ist.«
    Dann war Maria aus Trotz aufgestanden und hatte den Ständer, an dem der Tropf hing, zum Spiegel geschoben, der auf die Badezimmertür geklebt war. Sie hatte ihren Morgenrock fallen lassen und sich angesehen, den schmalen Körperumriss, die flachen Hinterbacken, die Falte ihres
Geschlechts zwischen den dürren Schenkeln, den eingefallen Unterleib, die vorstehenden Rippen, die geschrumpften Brüste und ihr Gesicht. Genau genommen war es die Hälfte eines Gesichts, als sei der Rest einfach verschwunden. Eine Ansammlung von Knochen, von einer so dünnen Haut bedeckt, dass man hätte annehmen können, es handele sich um Plastikfolie.
    »Wann hört das auf, Maria?«
    »Bei dreißig Kilo.«
    »Dreißig Kilo erreichst du nie, das weißt du genau.«
    »Aber ja.«
    »Nein, Maria. Schon deine Knochen wiegen mehr. Um diesen lachhaften Rekord aufzustellen, müsstest du sterben. Außerdem hast du das bei fünfundvierzig und bei vierzig Kilo auch schon gesagt. Wir hatten sogar schriftliche Vereinbarungen getroffen, an die du dich aber nie gehalten hast. Erinnerst du dich?«
    »Ich sage doch: Ich habe von Ihnen nichts verlangt.«
    Als ihr Blick im Spiegel auf den der unbeteiligten Augen des Arztes fiel, hatte Maria ihre mageren Arme vor der Brust gekreuzt.
    »Warum versteckst du deine Brüste? Da gibt es nichts mehr zu verstecken. Du bist keine Frau, sondern ein Mädchen, fast sogar eine Leiche. Was willst du eigentlich, Maria?«
    »Bitte, Dr. Moore. Würden Sie jetzt gehen?«
    »Du willst sterben, nicht wahr? Du machst dir ein Vergnügen daraus, mit anzusehen, wie dein Körper nach und nach verschwindet. Glaubst du wirklich, dass ich hierbleibe, um dich zu bedauern?«
    Mit tränenverhangenen Augen hatte Maria ihre Hüftknochen betrachtet, die scharf unter der Haut hervorstachen. Das Skelett, das sie da sah, hatte nichts Begehrenswertes an sich. Nichts Lebendes. Dr. Moore hatte sich ihr
genähert. Er hatte sich gebückt, um ihren Morgenmantel aufzuheben und ihn ihr um die Schultern zu legen. Dann hatte er mit leiser Stimme gesagt: »Du verzehrst dich selbst, Maria. Dein Körper ernährt sich von deinem Körper. Das führt aber zu keiner Läuterung und zu nichts Bewundernswertem. Er zehrt sich einfach selbst auf.«
    »Das ist mir egal.«
    »Mir nicht. Ich habe dir eine Tafel Schokolade auf den Nachttisch gelegt. Ich will, dass du sie isst und sie herunterschlingst wie ein ganz normales junges Mädchen.«
    »Und wenn ich es nicht tue?«
    »Dann sehe ich mich genötigt, dich in eine andere Einrichtung zu überweisen, wo du dich in Ruhe vor die Hunde gehen lassen kannst, ohne dass dir jemand dazwischenredet. Man wird einfach von Zeit zu Zeit deinen Tropf auswechseln, um dich zu begießen wie eine welke Pflanze, und eines Morgens zieht man dir dann das Laken

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